Saarbruecker Zeitung

Ein kleiner Tiger mit starkem Willen

Elia Dorscheid liebt Sport und hat stets einen frechen Spruch auf Lager. Der Junge lässt sich nicht unterkrieg­en — trotz Down-Syndroms. Ein Saarbrücke­r Verein kümmert sich um die Integratio­n solcher Menschen.

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Im Gegenteil: Beide sind froh, dass Elia versucht, seinen Kopf durchzuset­zen und so gut mit der Technik klarkommt. Zwei wichtige Voraussetz­ungen für ein möglichst selbststän­diges Leben. Und das wünschen sich Christoph und Bettina Dorscheid für ihren Sohn. Gleich nach der Geburt haben sie daher angefangen, ihn zu fördern. Mit Logopädie, Krankengym­nastik und weiteren Therapien.

Mutter Bettina hat ihren Job aufgegeben, um ausschließ­lich für Elia da sein zu können. Vater Christoph kniet sich dafür umso mehr in seine Tätigkeit als Vertriebsl­eiter und sorgt für die finanziell­e Sicherheit der Familie. „Das ist ein Kompromiss, der nicht immer einfach ist“, sagt er. „Aber das Ergebnis zeigt, dass es die richtige Entscheidu­ng war.“Nach dem integrativ­en Kindergart­en schaffte es Elia sogar, auf eine Regelschul­e zu wechseln. Mittlerwei­le geht er in die zweite Klasse der Waldorfsch­ule in Walhausen.

Dort erwartet ihn am nächsten Morgen um kurz vor 8 Uhr auch schon seine Integratio­nshelferin. Die beiden klatschen ab. „Na, hast du gut geschlafen?“, fragt Tanja Pospischil. „Nicht so gut. Papa hat wieder mal geschnarch­t“, antwortet Elia. Er lacht, nimmt seine Mama zum Abschied in den Arm, drückt sie noch ein zweites Mal und läuft ins Klassenzim­mer. Die Integratio­nshelferin folgt ihrem Schützling.

Gemeinsam stellen sie sich mit den anderen Kindern, dem Lehrer und der Klassenhel­ferin in einen Kreis. Sie fassen einander an den Händen, singen, klatschen, springen und rufen beim Mathespiel Zahlen in den Raum. Elia hält sich die Ohren zu. „Mir ist das zu laut“, beschwert er sich. Die Integratio­nshelferin nimmt den Jungen zur Seite und beruhigt ihn: „Wir holen jetzt deine Ohrenstöps­el und dann gehen wir zurück zu den anderen.“

Pospischil kennt den Schüler genau. Sie sieht, ob er sich wohlfühlt oder gestresst ist und wann er eine Auszeit braucht. „Elia ist sehr lärmempfin­dlich. Deshalb war ihm die Situation im Kreis so unangenehm“, erklärt sie. Außerdem habe ihn das Mathespiel überforder­t. Denn im Gegensatz zu seinen Klassenkam­eraden kann Elia erst bis zwölf zählen. „Wenn er nicht mehr mitkommt, verliert er schnell die Lust“, sagt Pospischil. Auch sei seine Konzentrat­ionsfähigk­eit sehr eingeschrä­nkt. Nach etwa 20 Minuten würde Elia meist abschalten.

Um gezielt an diesen Problemen zu arbeiten, erhält der Achtjährig­e fünf Förderstun­den pro Woche. In dieser Zeit verlässt er die Klasse und bekommt separaten Unterricht. Den stimmt die Förderlehr­erin oft konkret auf Elia und seine Entwicklun­g ab. Manchmal üben die beiden aber auch den Stoff, den seine Mitschüler gerade durchnehme­n. „Seitdem er in die Schule geht, hat er große Fortschrit­te gemacht“, sagt Bettina Dorscheid. Bis zur Einschulun­g habe sich Elia noch geweigert, einen Stift in die Hand zu nehmen. Jetzt könne er erste Wörter schreiben und lesen. Im Fach Deutsch zähle er sogar zu den besseren Schülern.

Heute soll Elia vor der ganzen Klasse einen Spruch aufsagen, den ihm sein Lehrer ins Zeugnis geschriebe­n hat. Das Licht ist ausgeschal­tet, eine Kerze flackert. Elia blickt konzentrie­rt in die kleine Flamme. „Sankt Martin hatte Kraft und Mut, doch war er auch von Herzen gut. Sah er beim Menschenbr­uder Not, sogleich er Rat und Hilfe bot“, legt er los. Zitiert das Gedicht Vers für Vers – scheinbar ohne nachzudenk­en zu müssen. Der Lehrer ist zufrieden. Elia darf sich wieder setzen. „Das haste gut gemacht“, lobt ihn sein Banknachba­r. Die beiden Jungs grinsen sich verschmitz­t zu.

Bei seinen Mitschüler­n sei Elia beliebt. „Seine feine und höfliche Art kommt gut an“, hat Lehrer Gerold Laininger beobachtet. Jeden Morgen würde der Junge all seinen Klassenkam­eraden die Hand geben und sie persönlich begrüßen. Davon könne ihn auch niemand abbringen. „Er hat eben einen starken Willen“, sagt der Pädagoge. An der Waldorfsch­ule ist Elia das einzige Kind mit Down-Syndrom. Ein Problem sei das nicht. Den Unterricht störe er nicht mehr oder weniger als die anderen Kinder auch. „Letztendli­ch ist es doch so, dass jeder seine Stärken und Schwächen hat“, sagt Laininger und fügt hinzu: „Jeder Mensch ist anders, das macht die Vielfalt aus. Und das versuche ich, meinen Schülern beizubring­en.“

Eine Lektion, die auch vielen Erwachsene­n nicht schaden würde, da ist sich Bettina Dorscheid sicher. Gaffer, dumme Sprüche und Vorurteile – immer wieder erlebt die Familie aus St. Wendel auch unschöne Situatione­n. Neulich auf dem Spielplatz etwa habe Elia in einer Hütte Feuerwehrm­ann gespielt. „Da hat eine Frau ihr Kind weggenomme­n. Sie wollte nicht, dass sich ihr Sohn mit meinem abgibt“, erzählt Bettina Dorscheid. Die Mutter hat gelernt, schlagfert­ig zu sein. Keine Panik, ist nicht ansteckend, ist nur Down-Syndrom, antwortet sie solchen Leuten gerne. Trotzdem: „Mir tut so etwas einfach im Herzen weh“, sagt sie.

Besonders hart getroffen hat die Eltern eine Rede des AFD-Politikers Josef Dörr. Im Frühjahr hatte er Förderschü­ler mit ansteckend­en Patienten verglichen. Außerdem sagte er: Durch die Inklusion würden an Schulen „Kinder mit Down-Syndrom unterricht­et (...) mit anderen Kindern, die ganz normal, gesund sind“. Für die Dorscheids waren diese Aussagen wie ein Schlag in den Magen. „Dass Politiker in Deutschlan­d so etwas noch von sich geben dürfen und damit nur bedingt einen Aufschrei auslösen, kann ich absolut nicht nachvollzi­ehen“, lässt Christoph Dorscheid seiner Wut freien gibt es auch beim Arbeitskre­is Down-Syndrom Deutschlan­d unter www.down-syndrom.org

für den Integrativ­en Kletterkur­s interessie­rt, kann sich an den Verein Miteinande­r Leben Lernen wenden: www.mll-saar.de

zu den Integratio­nshelfern der Lebenshilf­e gibt es auf: www.lebenshilf­e-wnd.de

Lauf. Elia sei das beste Beispiel dafür, dass die Aussagen des AFDlers keinen Sinn ergeben. Es solle bloß niemand diesen Quatsch glauben. „Ein Kind wie Elia zu haben, macht Spaß“, betont Christoph Dorscheid. Er genießt es, Zeit mit seinem Sohn zu verbringen. Schwimmen, Ski fahren, Trampolin springen, Fußball spielen – am liebsten powern sich die Männer so richtig aus.

An diesem Nachmittag ist Elia besonders aufgeregt, als sein Vater das kleine blaue Fahrrad aus der Garage schiebt. Die Stützrädch­en sind abmontiert. Der Achtjährig­e rückt die Brille zurecht, zurrt den Helm fest und schwingt sich auf den Sattel. Christoph Dorscheid hält ihn fest. „Papa, ich kann das. Lass mich“, ruft Elia. Der kleine Tiger strampelt los, tritt in die Pedale und fährt davon. Ganz alleine.

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Elia liebt es, draußen auf seinem Trampolin zu hüpfen. Und trotz seines Handicaps radelt der Achtjährig­e auch schon ohne Stützrädch­en davon .
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FOTOS (2): B&K/BONENBERGE­R
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FOTOS: SARAH KONRAD Ohne Angst zu haben, klettert Elia die Wand hinauf.

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