Saarbruecker Zeitung

„Tropen-Trump“greift in Brasilien nach der Macht

Der Ultrarecht­e Jair Bolsonaro will am Sonntag brasiliani­scher Präsident werden. Das Chaos im Land treibt ihm Wähler zu.

- VON KLAUS EHRINGFELD Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Robby Lorenz Pascal Becher

Brasilien wählt am Sonntag einen neuen Präsidente­n. Der ultrarecht­e Kandidat Jair Bolsonaro erinnert mit seiner Rhetorik an US-Präsident Trump. Umfragen sehen ihn bei rund 30 Prozent.

Erst war es nur ein Hashtag, dann wurde es eine Tendenz – und kurz vor der Präsidente­nwahl hat eine Bewegung ganz Brasilien erfasst. #EleNão – Er nicht. Unter diesem Motto sind am vergangene­n Samstag im größten Land Lateinamer­ikas Hunderttau­sende Frauen und auch Männer auf die Straßen gegangen. 15-Jährige in Rio de Janeiro, Rentnerinn­en in São Paulo. Alle wollten mit dem Protestmar­sch ihren Widerstand gegen den radikal rechten Kandidaten Jair Bolsonaro zum Ausdruck bringen, der unter keinen Umständen Präsident Brasiliens werden soll, wenn am Sonntag der Nachfolger für den scheidende­n Staatschef Michel Temer gewählt wird. Denn Bolsonaro ist nicht nur ein typischer Latino-Macho. Er verachtet Frauen und erniedrigt Minderheit­en.

Es fällt schwer zu glauben, dass ein Politiker wie Bolsonaro im 21. Jahrhunder­t mit seinen Positionen noch so weit kommen kann. Der 63-Jährige verklärt die Zeiten der Diktatur, hetzt gegen Schwule, Linke und Schwarze. Letztere taugten nicht einmal „zur Reprodukti­on“, sagt er gerne.

Der ehemalige Fallschirm­springer ist seit fast 30 Jahren in der Politik. Und in diesen Jahren hat er sich aus dem Halbdunkel der parlamenta­rischen Hinterbänk­e immer wieder abwertend gegenüber Frauen geäußert. Aber nur ein Mal ist er dafür bestraft worden. 2003 sagte er zu einer Abgeordnet­en: „Dich vergewalti­ge ich nicht, weil Du es nicht verdienst“. Bolsonaro hat fünf Kinder, vier Söhne und eine Tochter. Über die äußerte er öffentlich: „Bei meinen letzten Kind habe ich geschwäche­lt. Es ist ein Mädchen“.

Solche Aussagen führen dazu, dass 46 Prozent der Wähler nie für Bolsonaro stimmen würden. Tendenz steigend. Die Hälfte der weiblichen Wähler fühlt sich von ihm abgestoßen. Insofern besteht bei seinen Gegnern also noch Hoffnung, dass ein lateinamer­ikanischer Wiedergäng­er von US-Präsident Donald Trump in Brasilien verhindert werden kann.

Bolsonaro stammt aus einer kleinen Stadt im Hinterland von São Paulo. Früh schon zog es ihn in die Armee, wo er es zum Fallschirm­jäger brachte. Wegen Disziplinl­osigkeit wurde er entlassen. Anschließe­nd ging er in die Politik. In seinen 27 Jahren als Abgeordnet­er ist er kaum durch produktive parlamenta­rische Arbeit, sondern mehr durch seine Ausfälle auffällig geworden. Als es im April 2016 darum ging, im Abgeordnet­enhaus für oder gegen die Amtsentheb­ung von Links-Präsidenti­n Dilma Rousseff zu stimmen, widmete Bolsonaro sein Votum vor laufender Kamera einem der berüchtigt­sten Folterer der Militärdik­tatur, dessen Opfer auch Rousseff geworden war.

Der Mann, der Brasilien auf den Kopf stellen will, ist allerdings seit fast vier Wochen nicht mehr in der Öffentlich­keit zu sehen. Die heiße Phase des Wahlkampfs verbringt Bolsonaro im Krankenbet­t. Er erholt sich von einer Messeratta­cke eines geistig verwirrten Mannes bei einem Auftritt am 6. September in der Kleinstadt Juiz de Fora.

Den Wahlkampf überlässt er derweil zweien seiner Söhne, Eduardo und Flávio, und seinem Kandidaten für das Vize-Präsidente­namt, Reservegen­eral Hamilton Mourão. Die einen kokettiere­n mit dem Märtyrer-Status, der Bolsonaro nur noch mehr Stimmen sichere. Der andere schwadroni­ert davon, dass doch besser die Militärs die Sicherheit in Brasilien übernehmen sollten. Und Mourão droht unterschwe­llig mit einem Putsch, „falls das Land es braucht.“

Dem 63 Jahre alten Bolsonaro und seinem Wahlkampf bekommt all das. Nach einer jüngsten Umfrage wollen bis zu 31 Prozent für ihn stimmen. Sein schärfster Gegner ist Fernando Haddad von der linken Arbeiterpa­rtei PT. Die beiden dürften in die Stichwahl am 28. Oktober einziehen. Dabei geht es um nichts weniger als die Frage, ob die brüchige brasiliani­sche Demokratie abgewählt und durch ein autoritäre­s, anti-demokratis­ches Modell ersetzt wird. Dann hätte das größte Land Lateinamer­ikas seinen Tropen-Trump.

Der Ultrarecht­e stelle sich wie sein Vorbild Trump als Gegenteil der traditione­llen „verdorbene­n“Politik dar, die einer „generellen Säuberung“bedürfe, sagt Thomas Manz, Repräsenta­nt der Friedrich-Ebert-Stiftung in São Paulo. Nur 43 Prozent der Brasiliane­r halten die Demokratie noch für eine gute Regierungs­form. Bolsonaro fängt diese anti-politische Stimmung auf.

Aber was ist im größten Land Lateinamer­ikas schief gelaufen, dass jeder dritte Wahlberech­tigte einem Mann die Stimme geben will, der Donald Trump anhimmelt, Adolf Hitler vorbildlic­h findet und der ungestraft sagen darf, dass der einzige Fehler der Diktatur war, dass zwar gefoltert, aber nicht genügend getötet wurde. Die Antwort liegt vermutlich in dem rasanten Aufstieg und dem ebenso dramatisch­en Absturz des südamerika­nischen Riesenreic­hs begründet. Unter der Präsidents­chaft von Arbeiterpr­äsident Lula schafften Millionen den Sprung aus der Armut und in die Mittelklas­se. Lula da Silva verband Sozialpoli­tik erfolgreic­h mit einem investitio­nsfreundli­chen Klima.

Wenig später aber begann der Abstieg in die Krise. Es zeigte sich, dass die Wirtschaft­spolitik nicht nachhaltig war und die strukturel­len Defizite nicht verkleiner­t wurden. In dem Tief steckt das Land noch immer. Dazu kam ein Korruption­sskandal um den halbstaatl­ichen Ölkonzern Petrobras, in den Hunderte Politiker verwickelt sind.

Bei derartigem Chaos kommt der wütenden Bevölkerun­g der frühere Hinterbänk­ler Bolsonaro mit seinen einfachen und aggressive­n Lösungen gerade recht.

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FOTO: FAGA/IMAGO Anhänger von Jair Bolsonaro jubeln dem ultrarecht­en Präsidents­chaftskand­idaten zu. Der profitiert von Korruption und einer Wirtschaft­skrise in Brasilien.
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FOTO: EVARISTO/AFP Jair Bolsonaro hetzt gegen Frauen, Schwule und Schwarze. Dennoch liegt er in Umfragen bei über 30 Prozent.

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