Saarbruecker Zeitung

Ein Greis klammert sich trotz Gewalt an die Macht

Am Sonntag wird im Bürgerkrie­gsland Kamerun gewählt.

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(epd) Vor wenigen Tagen bewegten den kamerunisc­hen Präsidente­n Paul Biya große Sorgen. Ob sein Land wirklich in der Lage sei, den Afrika-Cup im Fußball auszuricht­en, wurde gefragt. Der 85-Jährige beeilte sich, umgehend jegliche Zweifel zu zerstreuen. Sein Land werde wie geplant die Meistersch­aft 2019 austragen, versichert­e Biya. Pünktlich zum Anstoß Mitte Juni werde alles bereit sein. Doch das scheint schwer vorstellba­r, denn in Kamerun herrscht Bürgerkrie­g: Der Westen und der Norden des Landes stehen in Flammen, Hunderttau­sende Menschen sind auf der Flucht.

Für Biya ist das nach 35 Jahren im Amt kein Grund zum Rückzug: Er will Zentralafr­ikas wichtigste Wirtschaft­smacht für weitere sieben Jahre regieren. An seiner Wiederwahl am Sonntag zweifelt niemand. Die jüngste Abstimmung hatte er offiziell mit 77 Prozent der Stimmen gewonnen. Nicht nur die Opposition, auch Wahlbeobac­hter sprachen von großangele­gtem Wahlbetrug. Diesmal stehen auf den Stimmzette­ln auch acht Gegenkandi­daten, die allesamt chancenlos sind. Wirklich prominente Opposition­elle sitzen im Gefängnis, so wie Aboubacary Siddiki, der aus dem Landzipfel stammt, der zwischen Nigeria und dem Tschad im äußersten Norden liegt.

Dort haben Islamisten der nigerianis­chen Terrorgrup­pe Boko Haram seit Jahresanfa­ng mehr als 90 Anschläge verübt, schätzt Amnesty Internatio­nal. Darunter fünf Selbstmord­attentate und Überfälle auf Dörfer, bei denen 123 Menschen starben. Die Armee reagiert nicht minder brutal: Sie fällt in Dörfer ein, verschlepp­t Zivilisten und sperrt viele ohne Anklage ein. Einige werden erschossen, so wie die zwei Mütter mit ihren Kindern, die mit mehr als 20 Kugeln regelrecht hingericht­et wurden. Ein Handyfilm im Internet zeigte die Tat in ihrer ganzen Grausamkei­t. Nach Druck aus dem Ausland untersucht die Armee inzwischen den Fall.

Kamerun leidet an einem alten Sprachenst­reit: Rund 80 Prozent der 24 Millionen Einwohner sind französisc­hsprachig, für 20 Prozent ist aber Englisch Verkehrssp­rache. Diese Minderheit fühlt sich vernachläs­sigt, doch Proteste im anglophone­n Westen werden brutal unterdrück­t. Seit mehr als zwei Jahren geht die Armee mit äußerster Brutalität gegen Separatist­en vor.

Satelliten­bilder zeigen Dörfer, die von Sondereinh­eiten der Armee niedergebr­annt wurden. „Nach unseren Erkenntnis­sen handelt es sich mindestens um 70 Dörfer“, sagt der kamerunisc­he Menschenre­chtsanwalt Agbor Nkongho. Er stammt selbst aus dieser Region, die nach der Unabhängig­keit 1960 für den Anschluss an Kamerun stimmte. Die Regierung in Jaunde sagte der Minderheit im Gegenzug Sonderrech­te im Rahmen eines föderalen Staatssyst­ems zu. Doch das wurde 1972 aufgehoben.

Kamerun verdient viel Geld mit dem Export von Öl, Gas, Holz und Kaffee. Doch im Westen gibt es nicht einmal Straßen, um die Großstädte zu erreichen. Schulen, Universitä­ten und Stromleitu­ngen sind notdürftig geflickt. Der Westen war schon vor den Unruhen das Armenhaus des Landes, in dem drei Viertel der Bevölkerun­g unter der Armutsgren­ze leben. Die Korruption blüht. 2016, als Lehrer und Richter friedlich streikten, verweigert­e Biya den Dialog. Inzwischen sind seine Gegner radikalisi­ert und schwer bewaffnet. Mehr als 400 Tote hat es in West-Kamerun allein in diesem Jahr gegeben.

Unter diesen Umständen eine Wahl abzuhalten, hält Frank Wiegandt vom katholisch­en Hilfswerk Misereor für abwegig: „Zum jetzigen Zeitpunkt sind Wahlen das völlig falsche Signal, da sie zu einer weiteren Spaltung und Verschärfu­ng der Gewaltspir­ale führen.“Doch Biya denkt nicht ans Verschiebe­n.

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FOTO:WARNAND/DPA An seiner Wiederwahl zweifelt niemand: der kamerunisc­he Präsident Paul Biya.

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