Saarbruecker Zeitung

Der tägliche Horror von Höxter

16 Jahre lang lockte ein Ehepaar Frauen in ihr Haus, quälte sie dort – manche sogar bis zum Tod. Heute fällt das Urteil.

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in dem Prozess verändert: „Einer ist der Böse. Wilfried hält sich Frauen, um sie zu quälen. Am Anfang sahen alle Angelika als Opfer. Dann kippte die Stimmung, nachdem sich die Angeklagte über Tage selbst äußerte“, meint Binder. „Da waren plötzlich beide gleichbere­chtigt.“

In den 60 Prozesstag­en hatten sich Angelika W. und ihr Ex-Mann immer wieder gegenseiti­g beschuldig­t, für die Taten in ihrem Haus in Höxter verantwort­lich zu sein. Die forensisch­e Gutachteri­n Nahlah Saimeh löste das Rätsel auf. Nach ihrer Analyse hatte das Paar über 16 Jahre ihrer Beziehung ein perfektes System entwickelt, um Frauen in die Falle zu locken. Angelika W. hat demnach Züge von Autismus und kann kein Mitleid für ihre Mitmensche­n oder Opfer empfinden. Sexualität setze sie als Machtinstr­ument ein. Sie sei hochintell­igent und extrem herrschsüc­htig. Wilfried W. dagegen sei im juristisch­en Sinne schwachsin­nig. Seine Weltsicht sei vergleichb­ar mit der eines Grundschul­kindes. Er sei ständig auf der Suche nach Frauen für die große Liebe. Allerdings wisse er nicht, was das eigentlich bedeutet. „Schuld oder Verantwort­ung sind ihm nicht beizubring­en“, sagte die Gutachteri­n in ihrer Stellungna­hme. Erst beide zusammen hätten das System ermöglicht. Ohne den jeweils anderen hätten die Misshandlu­ngen in Höxter nicht funktionie­rt.

Was genau war dieses System? Angelika W. und Wilfried W. suchten sich meist Frauen aus, die psychisch labil waren und nur wenige soziale Kontakte

„Das war abartig, krank. Da schauert es einem.“

Peter Wüller

Verteidige­r von Angelika W. über die Gewalttate­n seiner Mandantin

und deren Ex-Mann Wilfried W.

hatten, wie im Prozess deutlich wurde. Meldeten sich Frauen per Kontaktanz­eige, auf die das nicht zutraf, wurden diese Kontakte schnell beendet. Die Opfer, die blieben, wurden durch sogenannte­s Gaslightin­g gefügig gemacht. Sie wurden gezielt desorienti­ert, manipulier­t und ihres Selbstbewu­sstseins beraubt. Angelika W. und Wilfried W. nahmen den Frauen demnach Geld, Handy oder Führersche­in ab. Gab es noch Kontakte zu der Familie oder Freunden, wurden diese durch gefälschte SMS-Nachrichte­n torpediert.

„Das erinnert stark an Methoden aus dem Rotlichtmi­lieu, wo Frauen auch mit ähnliche Methoden gefügig gemacht werden“, sagte Anwalt Roland Weber in seinem Plädoyer als Vertreter einer Nebenkläge­rin. Der Staatsanwa­lt sieht es ähnlich und fordert für beide Angeklagte­n eine lebenslang­e Haftstrafe und zusätzlich noch die Feststellu­ng der besonderen Schwere der Schuld.

Nicht alle Fragen konnten im Prozess geklärt werden. So die genaue Todesursac­he des Opfers Anika W. aus Niedersach­sen. Das Paar soll die Leiche 2014 in einer Tiefkühltr­uhe eingefrore­n, zerstückel­t und verbrannt sowie die Asche an Straßenrän­dern verteilt haben. Über die Frage, ob der Tod des zweiten Opfers zu verhindern gewesen wäre, tobte im Gericht ein Gutachters­treit. Susanne F. aus Niedersach­sen starb 2016 im Krankenhau­s – einen Tag, nachdem eine Autopanne der Angeklagte­n die Ermittlung­en ins Rollen brachte. Sie wollten die Schwerverl­etzte ursprüngli­ch nur in deren Wohnung zurückbrin­gen. Es sind Gräueltate­n, die entsetzen.

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FOTO: JONAS DPA Hinter der Fassade dieses Wohnhauses in Höxter haben sich über Jahre Gräueltate­n abgespielt.

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