Saarbruecker Zeitung

Saar-Ärzte fürchten Kollaps ihrer Praxen

Gesetzlich Versichert­e sollen schneller einen Termin bekommen. Die Ärzte halten Minister Spahns Pläne für untauglich.

- VON DANIEL KIRCH

Die saarländis­chen Ärzte sind in heller Aufregung, wie schon öfter bei politische­n Vorhaben. Grund ist diesmal ein Gesetzentw­urf aus dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium, der dafür sorgen soll, dass gesetzlich Versichert­e schneller einen Arzttermin bekommen. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) sagte bei der Vorstellun­g seines Entwurfs, „zu oft“gebe es eine Ungleichbe­handlung von gesetzlich und privat Versichert­en. Viele Menschen fragten sich: „Warum hat mein Nachbar, der privat versichert ist, eigentlich schon nächste Woche einen Arzttermin und ich erst in vier Monaten?“

Der 191 Seiten dicke Gesetzentw­urf aus dem Hause Spahn liegt seit kurzem vor – und bringt die Ärzte auf die Palme. In einer Erklärung der Vertreterv­ersammlung der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV ) heißt es unter anderem, die neuen Regelungen würden „das Gesundheit­swesen überforder­n und zum Zusammenbr­uch bringen“. Es lohnt sich also, etwas genauer anzuschaue­n, was Spahn eigentlich plant:

Die Terminserv­icestellen der Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen, die gesetzlich Versichert­en seit 2016 in dringenden Fällen innerhalb von vier Wochen einen Facharztte­rmin vermitteln (siehe „Info“), sollen künftig auch für Hausärzte und Kinderärzt­e zuständig sein. Bisher vermitteln sie nur Termine bei Fachärzten und Psychother­apeuten.

Diese Serviceste­llen sollen künftig außerdem rund um die Uhr über die einheitlic­he Nummer 116 117 erreichbar sein, die bisher von den Bereitscha­ftsdienste­n genutzt wird. In Akutfällen sollen Patienten auch während der Sprechstun­denzeiten an Arztpraxen, Bereitscha­ftsdienste oder Notfallamb­ulanzen vermittelt werden.

Das Angebot der Terminserv­ice-Stellen sollen Patienten in Zukunft auch online oder per App in Anspruch nehmen können.

Niedergela­ssene Ärzte müssen künftig Sprechstun­den im Umfang von mindestens 25 Stunden pro Woche anbieten, bisher liegt die Untergrenz­e bei 20 Stunden.

Bestimmte Fachärzte wie Augenärzte, Frauenärzt­e und HNO-Ärzte müssen künftig mindestens fünf Stunden pro Woche als offene Sprechstun­de anbieten, in die man ohne vorherige Terminvere­inbarung kommen kann.

Die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen sollen die Einhaltung der Mindestspr­echstunden überwachen.

Nach Ansicht des Vorsitzend­en der KV-Vertreterv­ersammlung, Dr. Dirk Jesinghaus, greift der Bundestag – sollte er das Gesetz so beschließe­n – mit diesen Regelungen „unmittelba­r in die persönlich­e Organisati­on der Praxisinha­ber“ein. „Die Absicht, per Gesetz Sprechstun­denzahl und -art verpflicht­end festzulege­n und die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen zu ‚Anwesenhei­tsüberprüf­ern‘ der Vertragsär­zte zu degradiere­n, ist entwürdige­nd und wird die Ärzteknapp­heit eher noch verschärfe­n, indem Ärzte früher das System verlassen werden und sich junge Ärzte noch zögerliche­r niederlass­en werden, als dies jetzt schon der Fall ist“, bilanziert der Kardiologe namens seiner Kollegen.

Die Terminserv­icestellen mit der 116 117 zu koppeln, sei eine Herausford­erung, der sich die KV Saarland stellen werde. Die KV fordert aber möglichst viel eigenen Gestaltung­sspielraum, da im Saarland bereits funktionie­rende Strukturen vorhanden seien und sich über Jahre eine vertrauens­volle effektive Kooperatio­n mit der Rettungsle­itstelle auf dem Saarbrücke­r Winterberg (die derzeit die 116 117-Anrufe entgegenni­mmt) bewährt habe.

Vernichten­d fällt der Befund der saarländis­chen Ärzteschaf­t indes zur Ausweitung der Termin-Vermittlun­g auf die Haus- und Kinderärzt­e aus: „Jedem Patienten ungesteuer­t, ohne Beachtung des Wirtschaft­lichkeitsg­ebotes oder gar der Notwendigk­eit innerhalb von vier Wochen freien Zugang zu Haus- und Fachärzten und Psychologi­schen Psychother­apeuten zu gewähren und von unserer Seite her garantiere­n und organisier­en zu müssen, wird das Gesundheit­swesen überforder­n und zum Zusammenbr­uch bringen.“Die Ärzte fürchten auch, dass die Vergabe von Arzttermin­en via Internet dazu führen wird, dass jüngere, technikaff­inere Patienten den älteren die Termine wegnehmen.

Doch bislang spricht wenig dafür, dass die Ärzte mit ihrer Forderung nach einer völligen Überarbeit­ung des Gesetzentw­urfs Erfolg haben werden. Vor wenigen Tagen zeigte sich Gesundheit­sminister Spahn überzeugt, dass das Gesetz helfen werde, ganz konkret die Versorgung der gesetzlich Versichert­en zu verbessern – und das Klima in der großen Koalition zu verbessern.

Die Ärzte fürchten, dass die Vergabe von Arzttermin­en übers Internet dazu führen wird, dass jüngere Patienten den älteren und kranken die Termine

wegschnapp­en.

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FOTO: IMAGO STOCK/WESTEND61 HNO-Ärzte und bestimmte andere Fachärzte sollen künftig mindestens fünf Stunden pro Woche als offene Sprechstun­de anbieten, für die Patienten keinen Termin benötigen.

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