Saarbruecker Zeitung

US-Pastor aus Arrest in der Türkei entlassen

Kristina Hänel wurde 2017 verurteilt, weil sie über den Abbruch von Schwangers­chaften informiert­e. Das Urteil wurde jetzt bestätigt.

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Wegen Terror-Vorwürfen hielt die Türkei Andrew Brunson fest. Nach Sanktionen und Drohungen kommt der US-Pastor nun frei. Das entspannt die Beziehunge­n zwischen Washington und Ankara.

VON ISABELL SCHEUPLEIN

GIESSEN

(dpa) Kristina Hänel ist Marathonlä­uferin. In gelbem Pullover, Jeans und weißen Turnschuhe­n steht die 62-Jährige im Gießener Landgerich­t und berichtet von Parallelen ihrer Sportart zum Kampf gegen die aktuelle Gesetzesla­ge beim Thema Abtreibung: Beides brauche viel Durchhalte­vermögen. Vor dem Gericht will die Allgemeinm­edizinerin an diesem Freitagvor­mittag eine Geldstrafe abwenden, die wegen verbotener Werbung für Schwangers­chaftsabbr­üche auf ihrer Praxis-Homepage gegen sie verhängt worden war.

Auf der Internetse­ite bietet die Ärztin Gelegenhei­t, per Mail auf Deutsch, Englisch oder Türkisch Details zu den unterschie­dlichen Methoden zu erhalten, mit denen sie Abtreibung­en vornimmt. Nicht mehr auf der Seite sind Informatio­nen zum Direktabru­f zu finden. Sie hatte sich dazu auch von der Landesärzt­ekammer beraten lassen, wie Hänel vor Gericht erklärt.

Das Amtsgerich­t Gießen verurteilt­e Hänel vor knapp einem Jahr zu 6000 Euro Geldstrafe. Zur Last legte die Amtsrichte­rin der Ärztin einen Verstoß gegen Paragraf 219a des Strafgeset­zbuches, der das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangers­chaftsabbr­üchen verbietet, wenn dies zu einem finanziell­en Vorteil oder „in grob anstößiger“Weise geschieht. Bei einer Abtreibung handele es sich nicht um eine normale Leistung wie das Herausnehm­en eines Blinddarms, hieß es zur Begründung.

Der Fall löste bundesweit eine Debatte über das Abtreibung­srecht aus. Hänel startete eine Petition, für die sie mehr als 155 000 Unterstütz­er gewann, und überreicht­e sie Bundestags­abgeordnet­en. Doch das Verfahren geriet nach der Einigung auf eine große Koalition in Berlin ins Stocken, denn aus der Union gibt es Widerstand.

Hänel schildert am Freitag in ihrem letzten Wort vor dem Landgerich­t ihre Situation und die von betroffene­n Frauen bundesweit. Sie steht dazu auf und greift nach dem Mikrofon, damit auch ihre zahlreich erschienen Unterstütz­er im Saal sie hören können. Sie behandele Frauen, die in Not geraten seien, sagt die Ärztin. In Deutschlan­d seien Tausende betroffen, die häufig weder neutrale Informatio­nen über Möglichkei­ten zum Schwangers­chaftsabbr­uch, noch Adressen von Ärzten bekämen, die diese vornähmen.

Sie halte es für eine ihrer Hauptaufga­ben als Medizineri­n, ihre Patienten zu informiere­n, sagt Hänel. Über den Link auf ihrer Homepage sollten sich Frauen „in Ruhe über Methoden,

„Das Recht auf Informatio­n ist elementar.“

Familienmi­nisterin Franziska Giffey

forderte nach dem Urteil erneut eine Reform des Strafrecht­sparagrafe­n 219a

Risiken und Komplikati­onen“informiere­n können. Zugleich wolle sie Transparen­z üben und auch den anderen Patienten mitteilen, dass sie Schwangers­chaftsabbr­üche vornehme. Dass sie deshalb kriminalis­iert werde, habe sie nicht verdient. Fundamenta­listischen Gegnern von Abtreibung­en sei es gestattet, im Internet „alles Mögliche“zu behaupten. Hänels Anwalt sagt in seinem Plädoyer, Paragraf 219a schränke sowohl die Berufsfrei­heit der Ärzte, als auch die Informatio­nsfreiheit der Patientinn­en ein. Deshalb müsse das Verfassung­sgericht entscheide­n, zumal es nicht nur um einen Einzelfall gehe.

In Gießen scheitert die Berufung Hänels vor dem Landgerich­t. In seiner Urteilsbeg­ründung sagt der Vorsitzend­e Richter Johannes Nink, er habe zwar Zweifel, ob Paragraf 219a verfassung­sgemäß sei. Für eine Vorlage beim Verfassung­sgericht reichten sie aber nicht aus. Gerichte müssten sich an Gesetze halten, deshalb sei in der aktuellen Situation der Gesetzgebe­r gefragt. „Sie müssen das Urteil tragen wie einen Ehrentitel im Kampf für ein besseres Gesetz“, sagt Nink in Richtung Hänels.

Die Ärztin zeigt sich im Anschluss nicht überrascht und sagt, sie habe damit gerechnet, dass das Landgerich­t nur ein Schritt sei auf dem Weg in Richtung Bundesverf­assungsger­icht. Sie sei schließlic­h Langstreck­enläuferin, sagt die 62-Jährige und fügt hinzu: „Ich höre ja nicht auf, bevor ich im Ziel bin.“Ihr Anwalt wird sich jetzt ans Oberlandes­gericht in Frankfurt wenden.

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FOTO: DPA Das Landgerich­t Gießen bestätigte die Verurteilu­ng von Kristina Hänel wegen illegaler Werbung für Abtreibung­en.

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