Endstation Tiflis für eine femme fatale
Zurab Karumidzes neuer Roman – Lesung in Saarbrücken
Chopin auf, da werden Bilder wie Manets „Frühstück im Grünen“als Abbild von Dagny Juel neu interpretiert oder Madame Bovary als ihre „Schwester“entdeckt. Vor allem holt der Autor die gesamte georgische Literatur aus früher Zeit in die Gegenwart. Das georgische Nationalepos „Der Recke im Tigerfell“von Schota Rustaweli ist mehr als 800 Jahre alt und wurde vor wenigen Jahren zum Weltdokumentenerbe erklärt. Der georgische Dichter Wascha-Pschawela und der griechisch-armenische Esoteriker und Begründer des sogenannten „Vierten Weges“, Georges Gurdj, treten ebenso als handelnde Personen auf, wie der junge Iosseb Bessarionisdse Dschugaschwili unter seinem Tarnnamen Koba, der sich später Stalin nannte. Dazwischen verwirrt Dagny auch in Tiflis die Männer und feiert ein Fest der Liebe nach dem anderen, ehe sie stirbt.
Karumidzes Roman enthält eine sich aufeinander beziehende Vielfalt von Textarten. Da wechseln hintersinnige, fantasy-artige Non-sense-Passagen mit Bausteinen aus Werken von Juel, die aus dem Norwegischen übersetzt wurden. Da gibt es musiktheoretische Erörterungen, die mit Nachdenklichkeiten über Ursprung und Wesen der georgischen Sprache oszillieren. Sexuell aufgeladene Passagen beschwören die Wechselwirkung von Thanatos und Eros. Das aus der georgischen Schwarzmeerküste geraubte Goldene Vlies steht zur Decodierung an, und die multinationale, ins polyglotte gesteigerte Gesellschaft von Tiflis um die Wende zum 20. Jahrhundert glänzt in Vielfalt und gegenseitigem Respekt. An wichtigen Stellen helfen Fußnoten zum Verständnis der zuweilen schwer durchschaubaren Zusammenhänge der georgischen Kultur.
Zurab Karumidze: Dagny oder ein Fest der Liebe. Aus dem Englischen von Stefan Weidle; Weidle Verlag, 288 Seiten, 23 € Lesung am kommenden Montag (20 Uhr) im Saarländischen Künstlerhaus.