Saarbruecker Zeitung

Die Angst vor dem langen Arm der Saudis

Ein in Deutschlan­d lebender Prinz sagt, er sei erst vor wenigen Tagen einer Entführung entgangen – und dass es kein Einzelfall sei.

- VON BENNO SCHWINGHAM­MER

DÜSSELDORF/RIAD (dpa) Kairo, Ende September: Es ist ein staubig-trockener Tag nahe der Wüste, an dem sich ein geheimnisv­olles Treffen in einem Hotel der ägyptische­n Hauptstadt abspielt. Angehörige der Botschaft Saudi-Arabiens spazieren mit einem Scheck über „mehrere Millionen“in die Lobby, so die Darstellun­g des in Deutschlan­d lebenden saudischen Prinzen Chalid bin Farhan alSaud. Sie treffen einen Verwandten des Regimekrit­ikers – und wollen dem Prinzen ein Angebot unterbreit­en.

„Sie haben meinem Verwandten gesagt, sie wollten mir helfen, weil ich kein Geld mehr hätte. Ich müsse den Scheck nur in der saudischen Botschaft in Ägypten abholen“, erzählt Prinz Chalid. „Aber ich habe gewusst, dass das eine Falle ist.“Wenige Tage später, am 2. Oktober, verschwind­et der kritische saudische Journalist Dschamal Chaschukds­chi in Istanbul. Kurz nach Mittag betritt er das Konsulat Saudi-Arabiens, um Dokumente für seine Hochzeit abzuholen. Seitdem wird er vermisst. Türkische Ermittler gehen davon aus, dass der Kolumnist der „Washington-Post“von einem saudischen Sonderkomm­ando ermordet worden ist.

Prinz Chalid bin Farhan ist sich sicher, dass ihm das gleiche Schicksal gedroht hätte wie Chaschukds­chi, hätte er sich in die saudische Botschaft in Kairo locken lassen. „Sie hätten mich auf irgendeine unmenschli­che Art und Weise getötet, um andere abzuschrec­ken“, sagt der 41-Jährige, der eigenen Aussagen zufolge seit 2004 im deutschen Exil lebt und mittlerwei­le auch deutscher Staatsbürg­er ist.

Doch Saudi-Arabien behielt seinen Prinzen im Visier: Nach dpa-Informatio­nen ersuchte das Königreich die deutschen Behörden vergangene­s Jahr in dem Fall, um Möglichkei­ten für eine Auslieferu­ng auszuloten. Die Anfrage blieb von deutscher Seite unbeantwor­tet. Auch der Staatsschu­tz in Düsseldorf steht mit dem Prinzen nach eigener Aussage schon seit Jahren in Kontakt, auch das Bundeskrim­inalamt ist demnach mit dem Fall befasst.

Das Verschwind­en des Journalist­en Chaschukds­chi hat ein Schlaglich­t auf den Umgang der reichen Ölmonarchi­e mit seinen Dissidente­n geworfen. Seit dem Amtsantrit­t von König Salman Anfang 2015 hat die Unterdrück­ung Beobachter­n zufolge neue Höhen erreicht. Der König machte seinen Sohn Mohammed zum mächtigste­n Mann im Staate. Dass der 33 Jahre alte Thronfolge­r keinen Widerstand duldet, bekamen unter anderem Kleriker, Geschäftsl­eute und Frauenrech­tler zu spüren.

Auch außerhalb des Landes? Die britische BBC dokumentie­rte vergangene­s Jahr drei Fälle, in denen kritische Prinzen des weit verzweigte­n Königshaus­es im Exil verschwand­en: Prinz Sultan bin Turki befand sich den Recherchen zufolge im Januar 2016 in Paris, als er seinen Vater in Kairo besuchen wollte. Das saudische Konsulat bot einen Privatjet nach Ägypten an, der jedoch mit dem Prinzen nach Riad flog. Auch

„Die Regierung in Riad

geht über Leichen.“

Prinz Chalid bin Farhan al-Saud

Saudischer Regimekrit­iker

zwei weitere Prinzen, Turki bin Bandar und Saud bin Saif al-Nasr, verschwand­en in Europa. Hier gibt es ebenfalls Hinweise auf Entführung­en.

Die Geschichte­n passen zu den Informatio­nen, die die „Washington Post“kürzlich zum Fall Chaschukds­chi veröffentl­ichte: Demnach zeigten abgefangen­e Gespräche saudischer Offizielle­r, dass die saudische Regierung den Journalist­en aus seinem Exil in den USA ins Königreich locken und dort festnehmen wollte.

Prinz Chalid glaubt, dass auch er auf der Abschussli­ste der Saudis weit oben steht. Seiner Schilderun­g zufolge fiel er in Saudi-Arabien in Ungnade, als er dem heutigen König Salman – damals noch Emir von Riad – Korruption vorwarf. Der junge Prinz, der früher saudischer Diplomat unter anderem in Ägypten war, musste Saudi-Arabien verlassen. Seit 2004 lebt er eigenen Aussagen zufolge in Deutschlan­d, mittlerwei­le in Düsseldorf.

Doch auch in der Bundesrepu­blik wird Chalid bin Farhan Riads langen Arm nicht los. Anfangs sei er verfolgt worden. Das habe sich mittlerwei­le gebessert, auch wenn er weiterhin viele anonyme Morddrohun­gen erhalte. Zudem sei er in den vergangene­n Jahren insgesamt mehr als 50 Mal von saudischer Seite kontaktier­t worden. „Ich habe mich mit dem saudischen Botschafte­r in Berlin zehn Mal getroffen. Aber immer nur in einem Café“, sagt Chalid bin Farhan. Der Diplomat habe ihm mehrmals angeboten, für eine Aussprache mit dem König in seine Heimat geflogen zu werden. Prinz Chalid schlug die Angebote aus: „Wenn ich das gemacht hätte, würde ich nun nicht mit ihnen reden.“Die Sorge der Dissidente­n sei durch den Fall Chaschukds­chi gestiegen. „Natürlich haben wir alle Angst. Denn die Regierung in Riad hat keinen Plan und geht über Leichen“, sagt er.

Das Königreich hat in der Vergangenh­eit alle Anschuldig­ungen zu Entführung­en oder gar der Tötung von Kritikern vehement bestritten. Anfragen an Saudi-Arabien für eine Stellungna­hme zur Darstellun­g des Prinzen blieben bislang unbeantwor­tet.

 ?? FOTO: DPA ?? Prinz Chalid bin Farhan al-Saud lebt im Exil in Düsseldorf. Der Regimekrit­iker wirft der Regierung Saudi-Arabiens vor, ihm vor kurzem eine Falle gestellt zu haben. Sie haben ihn in eine Botschaft in Ägypten locken wollen. Er ging nicht hin.
FOTO: DPA Prinz Chalid bin Farhan al-Saud lebt im Exil in Düsseldorf. Der Regimekrit­iker wirft der Regierung Saudi-Arabiens vor, ihm vor kurzem eine Falle gestellt zu haben. Sie haben ihn in eine Botschaft in Ägypten locken wollen. Er ging nicht hin.

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