Saarbruecker Zeitung

Was wir wissen im Fall Chaschukds­chi – und wo es Fragen gibt

- Produktion dieser Seite: Pascal Becher, Robby Lorenz Gerrit Dauelsberg

ISTANBUL/WASHINGTON/RIAD (dpa) Das Verschwind­en des saudischen Regierungs­kritikers und Journalist­en Dschamal Chaschukds­chi in Istanbul ist einer der spannendst­en und zugleich grausigste­n Kriminalfä­lle des Jahres. Gleichzeit­ig gibt es viel Aufregung um wenig Handfestes.

Was wir wissen: Gesichert ist nur, dass Chaschukds­chi am 2. Oktober das Konsulat seines Landes in Istanbul betrat, um Papiere für die Hochzeit mit seiner türkischen Verlobten abzuholen. Seitdem ist er verschwund­en. Die weiteren Informatio­nen, die seither ans Licht kamen, wurden unter Berufung auf nicht genannte „türkische Regierungs­vertreter“scheibchen­weise in türkischen oder US-Medien veröffentl­icht.

Hier gibt es Fragen: Gab es wirklich ein „kill team“? Die türkischen Behörden gehen davon aus, dass Chaschukds­chi von einem aus Saudi-Arabien angereiste­n Spezialkom­mando getötet wurde. So berichten es zumindest regierungs­nahe türkische Medien. Die Zeitung „Sabah“veröffentl­ichte am 10. Oktober zum Beispiel Bilder von Verdächtig­en, die aus Kameras an der Passkontro­lle an Flughäfen zu stammen scheinen. Unter der Überschrif­t „15-köpfige Mörder-Truppe“wurden in „Sabah“, aber später auch der Regierungs­zeitung „Yeni Safak“und anderen Medien einige der Saudis namentlich identifizi­ert.

Darunter soll ein Mann namens Salah Muhammad A. Tubaigy sein. Verfolgt man die Tubaigy-Spur zurück, findet sich ein Mann dieses Namens und mit einem zumindest ähnlich aussehende­n Bild in Artikeln der renommiert­en saudischen Zeitung „Al Sharq al-Awsat“und auf der Webseite der Uni Naif-Arab. Dort wird er als hochrangig­er Rechtsmedi­ziner des Innenminis­teriums mit militärisc­hem Rang vorgestell­t.

Aber wie ist der Mord passiert? Hier gibt es viele widerstrei­tende Darstellun­gen. Türkische Regierungs­vertreter haben US-Medien erzählt, Chaschukds­chi sei nach seinem Tod in kleine Stücke zersägt worden. Es gab aber auch Geschichte­n über wilde Schreie aus dem Konsulat, ein Säurebad oder eine Entführung durch einen Tunnel aus der Botschaft heraus und dann nach Saudi-Arabien.

Was zeigen die Aufnahmen von der Exekution, die die Türkei angeblich besitzt? Das weiß niemand. Keiner der Medien, die bisher darüber berichtet haben, hat sie zu Gesicht bekommen. Das hatte zu der Vermutung geführt, dass die Türkei das Konsulat vielleicht verwanzt hatte, es aber nicht zugeben wollte. Eine andere Lösung stellte die regierungs­nahe „Sabah“vor, die berichtete, dass Chaschukds­chi seine eigene Exekution mit einer Apple-Uhr an seinem Handgelenk aufgezeich­net habe. Für Aufregung sorgte auch ein CNN-Bericht, wonach Saudi-Arabien erwäge, den Tod des Mannes zuzugeben – als Versehen bei einem schiefgela­ufenen Verhör. Bestätigt wurde das nicht.

Ermittler durften das Konsulat durchsuche­n – was hat das gebracht? Bisher wenig öffentlich zumindest. Neun Stunden lang waren die türkischen Ermittler zusammen mit saudi-arabischen Kollegen in der Nacht gestern im Konsulat zugange. Zuvor hatten die Saudis die Durchsuchu­ng aufgehalte­n, bis der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu sich am Samstag öffentlich über die mangelnde Zusammenar­beit der Saudis beschwerte.

Stunden später sagte Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan, man schaue sich mögliche Spuren „giftiger Substanzen“derzeit genauer an. Die seien überstrich­en worden. Gestern wollte die türkische Polizei auch die Residenz und die Fahrzeuge des saudischen Konsuls in Istanbul durchsuche­n.

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FOTO: MILLIS/AFP US-Außenminis­ter Mike Pompeo traf gestern Kronprinz Mohammed bin Salman in Riad. Das Thema: Was ist mit Dschamal Chaschukds­chi passiert?

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