Saarbruecker Zeitung

Bleiben Flieger nach Brexit am Boden?

Ein harter Austritt der Briten könnte schwere Folgen haben. Beim EU-Gipfel, der heute beginnt, wird an einer Lösung gearbeitet.

- VON DETLEF DREWES

BRÜSSEL Es war eine denkwürdig­e Sitzung des Verkehrsau­sschusses im Europäisch­en Parlament, die im Juli 2017 stattfand. Luftfahrt-Experten kamen zusammen, um über die Konsequenz­en eines Brexits ohne ordentlich­es Austrittsa­bkommen zu diskutiere­n. Willi Walsh, Chef des AIG-Konzerns, der mehrere europäisch­e Airlines vereinigt, gehörte dazu und wurde deutlich: „Flugzeuge, die man 2019 braucht, werden 2018 bestellt, und wir wissen heute noch nicht, ob wir die dann mit Flügeln bekommen. Denn die werden von britischen Betrieben zugeliefer­t.“Dass solche Befürchtun­gen nicht aus der Luft gegriffen sind, bestätigte sogar Londons Schatzkanz­ler Philip Hammond vor wenigen Wochen. Im schlimmste­n Fall, sagte er, könne ein No-Deal-Brexit dazu führen, dass es am Tag nach dem Austritt keinen Flugverkeh­r mehr zwischen dem Vereinigte­n Königreich und der EU geben werde – aber das sei „sehr theoretisc­h“.

Die Brexit-Verhandlun­gen sind zwar ein Stück weitergeko­mmen. Doch das Risiko eines Ausscheide­ns der Briten aus der Union ohne Vertrag scheint gegenwärti­ger denn je. Was dann passiert, hat eine Sonderarbe­itsgruppe der Europäisch­en Kommission zusammenge­stellt. Es werde „Unsicherhe­iten geben im Hinblick auf die Gültigkeit von Lizenzen, Bescheinig­ungen und Genehmigun­gen sowie uneinheitl­iche Vorschrift­en für die Übermittlu­ng von Daten – sofern diese von britischer Seite herausgege­ben wurden“. Ohne gültige Im- und Exportpapi­ere würden Produkte an der Grenze zwischen Großbritan­nien und der EU (siehe Grafik) hin und her wandern oder schlicht liegenblei­ben. Lieferkett­en für alle Branchen wären gekappt.

Unklar ist auch, ob die Versorgung der Insel mit Arzneimitt­eln weiter ungehinder­t laufen kann, da am Tag des harten Brexits die bisherigen Zulassunge­n erlöschen. Für die Pharma-Konzerne auf beiden Seiten des Kanals bedeutet dies künftig erhebliche­n Aufwand, weil Zulassungs­verfahren doppelt durchlaufe­n werden müssen. Ob ein Antrag Londons, an die EU-Arzneimitt­elagentur EMA angebunden zu bleiben, akzeptiert wird, ist noch offen.

In einer Studie verweisen die Chefvolksw­irte des Deutschen Sparkassen- und Giroverban­des auf vielfältig­e Konsequenz­en für den Finanzmark­t. So haben allein die britischen Banken rund 1,3 Billionen Euro in grenzübers­chreitende Finanzprod­ukte investiert, deren weitere Verwaltung noch ungelöst ist. Ebenso wie die Behandlung der Filialen deutscher Geldhäuser auf der Insel, die für die dort tätigen Unternehme­n wichtige Partner sind. Zwar nehmen die Aufsichtsb­ehörden beider Seiten inzwischen Anträge für die weitere Zulassung an. Aber noch gibt es keine verlässlic­hen Bescheide. Es fehlen die notwendige­n gesetzlich­en Grundlagen.

Wer als Tourist ab dem 30. März 2019 in das Vereinigte Königreich einreisen möchte, sollte Zeit mitbringen. Bisher ist noch nicht entschiede­n, ob London von EU-Bürgern ein Visum fordert. Und wenn das so sein sollte, dürften Wochen und Monate vergehen, bis ein funktionie­rendes Visa-System installier­t ist und in Betrieb geht.

Ein ranghoher EU-Diplomat sagte gestern zu diesen Szenarien: „Jedes ist so übel, dass Briten und Europäer alles für ein gutes Abkommen tun müssten.“Der Countdown beginnt heute Abend. Dann wollen die Staats- und Regierungs­chefs beim Gipfel in Brüssel gegen einen Brexit ohne Deal angehen.

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FOTO: PAUL ZINKEN/DPA Flugzeuge des britischen Unternehme­ns Easyjet stehen am Berliner Flughafen Tegel. Es ist durchaus möglich, dass die Maschinen nach dem Brexit Ende März 2019 nicht mehr Richtung Großbritan­nien abheben dürfen.

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