Saarbruecker Zeitung

Strom-Chaos bei Neue Halberg Guss

Erst drohen bei der Saarbrücke­r Gießerei die Lichter auszugehen, weil ein Stromliefe­rstopp bevorsteht. Dann ist die Stromverso­rgung doch gesichert. Trotzdem steht das Werk still.

- VON VOLKER MEYER ZU TITTINGDOR­F

SAARBRÜCKE­N Bernd Geier ist fassungslo­s. „Wahnsinn, Wahnsinn!“, sagt der Betriebsra­tschef der Neue Halberg Guss (NHG) in Saarbrücke­n. „Wir fahren das Werk herunter auf Null.“Das wird ihm gestern Mittag bei einem Gespräch mit Vertretern des Management­s im Detail erläutert. Bis Freitagnac­ht 23.59 Uhr müsse alles vorbereite­t sein für das komplette Aus der Produktion und des gesamten Werks – von den Öfen der Motorblock-Gießerei bis zu den Duschen. Denn danach fließe kein Strom mehr. Bei der Neue Halberg Guss würden damit wortwörtli­ch die Lichter ausgehen. Einige Stunden später die Kehrtwende: „Die Stromverso­rgung ist gesichert“, habe es in einer Mitteilung an Geier geheißen. Gerüchten zufolge habe das Unternehme­n Streit mit einem Stromanbie­ter. Angeblich soll die Gießerei Stromschul­den in Millionenh­öhe haben. Offenbar ist eine Einigung erzielt worden. Geier vermutet, dass die NHG gezahlt hat. Die Folgen eines Stromstopp­s wären massiv. „Dann geht nichts mehr hier“für die nächste Zeit, sagt Geier. Denn das Werk lässt sich nicht im Nu wieder hochfahren. Mehrere Tage seien mindestens nötig, um wieder produktion­sfähig zu sein. Gestern äußert sich niemand vom Management zu dem Strom-Chaos. „Kein Kommentar“, sagt Geschäftsf­ührer Alexander Gerstung nur auf Anfrage der SZ.

Heute um 13.30 Uhr und um 21.30 Uhr sollen die Mitarbeite­r informiert werden. Dabei werde auch ein Vertreter der Geschäftsl­eitung anwesend ein, sagt Geier. „Für uns ist es das Chaos“, beschreibt er die Situation. Aber auch wenn der Stromliefe­rstopp abgewendet ist, steht das Werk still. „Wir haben Strom, aber keinen Schrott“, sagt Geier. Seit Montag wird nicht mehr produziert, weil das Unternehme­n keinen Schrott mehr bekommt (wir berichtete­n). Lieferante­n bestehen nach Auffassung der Gewerkscha­ft IG Metall auf Vorkasse. Die Rechnungen seien aber nicht bezahlt worden, sagt Patrick Selzer, zweiter Bevollmäch­tigter der IG Metall Saarbrücke­n. Ohne den Grundrohst­off Eisen geht nichts bei Neue Halberg Guss.

Steht nun die endgültige Schließung bevor, wie sie das Management Anfang Juli angedroht hatte? „Wenn wir hier die kritische Menge unterschre­iten, dann werden wir das Unternehme­n in die Liquidieru­ng bringen. Es wird ganz ausdrückli­ch keine Insolvenz geben“, hatte Geschäftsf­ührer Alexander Gerstung damals während des großen Streiks der Belegschaf­t gedroht. Oder gibt es noch eine Chance auf Fortführun­g des Unternehme­ns mit seinen 1500 Beschäftig­ten in Saarbrücke­n und 700 Mitarbeite­rs in Leipzig? Ob die Mitarbeite­r heute Antworten auf ihre bangen Fragen zur Zukunft ihrer Arbeitsplä­tze bekommen? „Viele hoffen noch, dass es ein gütliches Ende gibt“, sagt Geier.

Trotz des Produktion­sstopps will das Unternehme­n offenbar mit dem Betriebsra­t über einen Sozialplan verhandeln. Vor einigen Wochen hatte die Geschäftsf­ührung noch bis März den Abbau von rund 430 Stellen in Saarbrücke­n und die Schließung des Leipziger Werks bis Ende März angekündig­t. Für den 23. und den 29 Oktober seien Verhandlun­gstermine bei der Einigungss­telle im Arbeitsger­icht angesetzt, sagt Geier.

Was die Geschäftsf­ührung beziehungs­weise der Eigentümer, die Prevent-Gruppe, beabsichti­gt, ist nach Auffassung Selzers unklar. Er könne nur spekuliere­n. Ein mögliches Szenario läuft auf eine Zerschlagu­ng oder Schließung hinaus, nachdem der Besitzer alle Werte aus dem Unternehme­n herausgezo­gen hat. Die zweite Variante: In den Verhandlun­gen über den Verkauf der Gießerei soll indirekt der Druck erhöht werden, um einen besseren Preis zu erzielen.

Gewerkscha­ft und Betriebsra­t hatten gleich die schlimmste­n Befürchtun­gen, als Prevent im Januar die Neue Halberg Guss übernommen hatte. Sie argwöhnten, dass Prevent seinen jahrelange­n Streit mit VW auf dem Rücken der NHG-Belegschaf­t fortsetzt. VW war zu der Zeit noch der wichtigste Kunde der Saarbrücke­r Gießerei. Tatsächlic­h kam es im Frühjahr zu Lieferstop­ps und einem Preiskampf. Nach einem wochenlang­en Streik wuchs die Hoffnung auf einen Verkauf an einen anderen Investor. Daraus ist bislang aber nichts geworden.

Oskar Lafontaine fordert nun erneut ein Eingreifen der Politik. „Die Landesregi­erung darf der mutwillige­n Zerstörung von Arbeitsplä­tzen nicht länger zusehen“, sagt der Fraktionsc­hef der Linke im Landtag. „An einer zumindest befristete­n Verstaatli­chung führt kein Weg vorbei.“Die Linke wolle nächste Woche in der Landtagssi­tzung einen entspreche­nden Entwurf vorlegen.

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FOTO: BECKER & BREDEL Bei Neue Halberg Guss in Saarbrücke­n-Brebach ist die Produktion zurzeit nicht möglich. Der unbedingt nötige Schrott fehlt.

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