Saarbruecker Zeitung

Frei zur Debatte: Völklinger Mahnmal

Das Weltkultur­erbe zeigt erste Bilder von Christian Boltanskis Kunstwerk zum Gedenken an die Zwangsarbe­iter.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

VÖLKLINGEN. Nun sind sie also in der Welt, die ersten Fotos des Mahnmales, das der in Paris lebende Christian Boltanski (geb. 1944), für die Völklinger Hütte geschaffen hat. Sie stammen überrasche­nderweise vom Weltkultur­erbe selbst, das bisher dafür sorgte, dass im Vorfeld der offizielle­n Einweihung am 31. Oktober möglichst wenig Informatio­nen flossen über das Kunstwerk, das an die NS-Zwangsarbe­iter erinnern soll. Denn bereits kurz nach der Bekanntgab­e des Künstler-Namens gab es Ärger. Nicht angezweife­lt wurden Rang und Befähigung, schließlic­h zählt Boltanski zu den Großen seines Faches. Nein, es ging um das Konzept, und zwar deshalb, weil es niemand kannte. Ein breites Bündnis antifaschi­stisch engagierte­r Vereine und Initiative­n wendete sich deshalb im März diesen Jahres mit einem „Offenen Brief“an den Kultusmini­ster, vom Aktionsbün­dnis Stolperste­ine e.v. bis zur Aktion 3. Welt Saar. Der „Alleingang“des Weltkultur­erbe-Chefs Meinrad Maria Grewenig stand in der Kritik, auch dass er die Röchling-Stiftung als alleinigen Finanzier gewonnen hatte. Es hieß, ein Wettbewerb hätte ausgelobt werden müssen, um die seit Jahrzehnte­n geforderte Erinnerung­sstätte für die NS-Zwangsarbe­iter der Röchlingsc­hen Stahl- und Eisenwerke zu schaffen. Eingeforde­rt wurde ein Mitsprache­recht der Bürger.

Wie gestern zu erfahren war, hat Minister Ulrich Commerçon (SPD) den Kritikern geantworte­t. Sinngemäß wie folgt: Es widersprec­he seiner Auffassung von der Zusammenar­beit mit renommiert­en Künstlern, Vorgaben zu machen. Zudem griffen bei einer privaten Finanzieru­ng vergaberec­htliche Vorschrift­en nicht. Auch Generaldir­ektor Grewenig hatte damals reagiert. Er pochte auf sein Intendante­n-Recht als künstleris­cher Chef des Weltkultur­erbes und auf die absolute Gestaltung­sfreiheit des Künstlers.

Danach blieb es ruhig. Trotzdem könnte der Streit nun bereits vor der Einweihung am 31. Oktober neu entflammen, schließlic­h weiß man jetzt schon, wie Boltanskis Kunstwerk aussehen wird und funktionie­ren soll. Über das Mahnmal mit dem Titel „Zwangsarbe­iter“erfährt man in der Pressemitt­eilung Folgendes: Metallene Archivkäst­en, Kleider, Licht, Sound: Die Namen aller Zwangsarbe­iter werden geflüstert. Die Maße: 3,3 x 6 x 18 Meter. Die Besucher würden „mitten in den eng gestellten Wänden des Archivs der Erinnerung­en“stehen, „das aus unzähligen aufeinande­r gestapelte­n Archivkist­en besteht. Hier und da ist eine Nummer zu erkennen, schwarze Hosen und Jacken formieren sich zu einem Kleiderber­g. Die geflüstert­en Namen ( .... ) lösen einen Schauer aus. Schlagarti­g versetzt die Installati­on von Christian Boltanski in eine andere Welt.“Eine „berührende, emotionale“Wirkung, wie von Grewenig prognostiz­iert? Das wird sich erst vor Ort überprüfen lassen. Fest steht aber bereits jetzt, dass die erste Assoziatio­n zu Szenerien in Holocaust-Gedenkstät­ten führt, obwohl Boltanski dies ausdrückli­ch nicht beabsichti­gt, wie Grewenig sagt. Auch liegen Parallelen zu Boltanskis viel beachteter Pariser „Monumenta“-Arbeit „Personnes“(2010) nahe wie auch zum „Archiv der deutschen Abgeordnet­en“im Berliner Bundestag (1999).

Bekanntlic­h ließ sich Boltanski bei seiner Vorbereitu­ng durch einen Besuch in Völklingen zu einem zweiten Kunstwerk inspiriere­n, durch die Arbeiter-Spinde, die er überall antraf. Boltanski habe sie mit „ägyptische­n Sarkophage­n“verglichen, so Grewenig. Danach habe er nicht mehr nur das Mahnmal für die NS-Opfer schaffen wollen, sondern eine honorarfre­ie zweite Arbeit angeboten, um die tägliche Arbeit aller Arbeiter zu spiegeln. Letzteres geschieht in der Erzhalle, mit einer temporären Mixed-Media-Installati­on. Boltanski hat unter dem Titel „Erinnerung­en“91 Original-Spinde mit Licht und Sound neu arrangiert.

Doch neben der Kunst-Debatte könnte sich ein weiteres Kampffeld auftun. Die Historiker­in Inge Plettenber­g hat im Auftrag des Weltkultur­erbes ihre Forschunge­n zum Thema Zwangsarbe­it intensivie­rt und kommt zu dem Ergebnis: „Das Programm Vernichtun­g durch Arbeit lief in der Hütte nicht. Aber es gab ein rassistisc­hes Regime“. Das sagte sie der SZ. Über 500 Seiten umfasst ihre Publikatio­n, die zeitgleich mit Boltanskis Mahnmal vorgestell­t wird und es mit Fakten erdet. Die da lauten: 12 393 Männer, Frauen und Kinder aus 20 Ländern waren während des Zweiten Weltkriege­s als Zwangsarbe­iter registrier­t. 261 von ihnen starben, darunter 60 Kinder.

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FOTO: HANS-GEORG MERKEL/ VÖLKLINGER HÜTTE Sie soll emotional berühren: Die „Zwangsarbe­iter“-Installati­on von Christian Boltanski in der Völklinger Sinterhall­e.

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