Saarbruecker Zeitung

Was hatten Waderner gegen den Wetterhahn?

Das Stadtmuseu­m Wadern führt nicht nur durch rund 2500 Jahre Geschichte der Region, es erzählt auch direkt aus dem Leben.

- VON NINA DROKUR Produktion dieser Seite: Nina Drokur Christian Beckinger

WADERN Eine wild gewordene Sammlung, derart viele Bilder an der Wand, dass das Auge gar nicht entscheide­n kann, wo es hingucken soll. Eine Vitrine wie in Großmutter­s Wohnzimmer: Erinnerung­sstücke aus einem ganzen Leben und mehr. Liebevoll und mit Herz gesammelt, aber ohne erkennbare Struktur. So sah das Waderner Stadtmuseu­m einst aus. Willy Weinen, kein Fachmann, aber ein begeistert­er Heimatfors­cher, hat das erste Heimatmuse­um im Kreisgebie­t 1978 eingericht­et und dort über Jahrzehnte hinweg eine vielfältig­e Sammlung zur regionalen Geschichte aufgebaut. Ehrenamtli­ch. „Es war sein Herzstück“, sagt Christina Pluschke, die das Museum heute leitet.

Am Eingang des Oettinger Schlössche­ns im Herzen der flächenmäß­ig drittgrößt­en Stadt des Saarlandes zeigt sie Bilder von damals. Und vom Umbau. Denn nach Weinens Tod 2009 hat die Stadt zwar am Museum festgehalt­en, wollte es aber modernisie­ren, profession­alisieren und hat dem Haus mit Christina Pluschke nicht nur einrichtun­gstechnisc­h ein ganz neues Gesicht verpasst. Ein Team aus Ausstellun­gsgestalte­rn, Beleuchtun­gsplanern, Grafikern, Schreinern und vielen anderen hat unter Pluschkes Leitung das Museum umgestalte­t. Willy Weinens gesammelte Stücke bilden aber noch immer den Kern der Ausstellun­g.

2013 wurde das Museum im Oettinger Schlössche­n neu eröffnet. Seitdem führt es in drei Räumen durch rund 2500 Jahre Hochwald-Geschichte. Der chronologi­sch gestaltete Rundgang beginnt mit der keltisch-römischen Vorgeschic­hte der Region. Ausgestell­t sind dort Grab- und Siedlungsf­unde. Pluschke zeigt auf einen steinernen Pinienzapf­en, halb so groß wie die 37-Jährige selbst. Er gehört zu einem Grab, dessen Nachbau sich noch heute in Oberlöster­n finden lässt. Wer das theoretisc­he Wissen aus dem Museum aufgesogen hat, kann sich zum Erkunden in die Region aufmachen. Nicht nur zu den Gräbern im Löstertal. In allen 14 Waderner Stadtteile­n sei etwas zu den Museums-Exponaten zu finden, verspricht Pluschke.

Selten gibt es fernab der Vitrinen so viel zu entdecken und selten ist ein Museum so zum Anfassen konzipiert. Eine Münze von Kaiser Nero etwa, ein Replikat natürlich, kann mit den eigenen Händen untersucht werden. Die echte liegt zum Bestaunen hinter Glas. In der mittelalte­rlichen Ecke laden Murmeln zum Spielen „wie auf Burg Dagstuhl“ein. Die Ruine bildet den Hauptteil der Mittelalte­r-Sektion des Museums. Eine Videoanima­tion setzt die Burg, von der heute nicht mehr viel steht, Stein für Stein wieder zusammen. So gestaltet sich das Museum für Besucher jeden Alters interessan­t. Christina Pluschke passt sich nach eigenen Worten an. „Wisst ihr eigentlich, was ein Museum ist?“, frage sie etwa die ganz kleinen Museumsbes­ucher. Um Kindern die Zeitsprüng­e zwischen den Ausstellun­gsräumen klarzumach­en, erfindet sie eine Zeitmaschi­ne, breitet die Arme aus, macht „außerirdis­che“Geräusche und „fliegt“in den nächsten Abschnitt. „Wenn ich das mit Erwachsene­n machen würde, die würden mir den Vogel zeigen.“Dass sie die Arbeit mit Kindern liebt, sagt sie nicht nur selbst, es spiegelt sich auch im Museum wider.

Für die gebürtige Birkenfeld­erin war die Anstellung vor sechs Jahren in Wadern, wie sie bekundet, „der Jackpot“– nicht nur wegen der Nähe zur Heimat. Sie sei in Wadern auch so herzlich aufgenomme­n worden, sagt Pluschke. Zwar hatte die damals 30-Jährige, die „Historisch orientiert­e Kulturwiss­enschaften“und „Museum und Ausstellun­g“in Saarbrücke­n und Oldenburg studierte, bis dahin bereits einige praktische Erfahrunge­n sammeln dürfen – nicht zuletzt als Mitarbeite­rin im Landesmuse­um für Natur und Mensch in Oldenburg und während ihrer Zeit als wissenscha­ftliche Volontärin im Museum in der Kaiserpfal­z in Paderborn. Als Leiterin des kleinen Stadtmuseu­ms geht sie seit 2012 aber einer weit größeren Aufgabe nach mit großen Freiheiten in Umsetzung und Gestaltung der Ausstellun­gen, aber auch mit mehr Verantwort­ung. Der Job ist Fluch und Segen zugleich, sagt sie. „Wenn etwas richtig gut läuft, kann ich mir auf die Schulter klopfen und stolz sein“, schließlic­h hat sie es dann ganz alleine auf die Beine gestellt. „Aber wenn etwas gar nicht funktionie­rt und richtig in die Hose geht. . .“, bläst sie die Backen auf und schnauft: Auch dann ist sie ganz alleine verantwort­lich.

Hier und da sperrt die Museumslei­terin eine Vitrine oder ein Kämmerchen auf, das sich in einer Bank oder einer Wand versteckt. Daraus zaubert sie dann thematisch passende Stücke hervor. Wie etwa im Raum zur neueren Geschichte: Dort gibt es einen alten Saarländis­chen Personalau­sweis und einen Stimmzette­l aus dem Jahre 1935 zu sehen. Etwas deplatzier­t wirkt dort, mitten im Raum zur Neuzeit, ein alter Wetterhahn. „Der zeigt am deutlichst­en, warum ich meinen Vorgänger gerne kennengele­rnt hätte“, sagt Pluschke. Willy Weinen hatte zwar viele Geschichte­n zu den Ausstellun­gsstücken zu erzählen, überliefer­t sind leider nicht alle. Der Hahn jedenfalls gehörte zur katholisch­en Kirche gegenüber dem Schlössche­n. Bei genauerem Betrachten fallen Einschusss­tellen auf. Deutliche Beulen, keine Durchschüs­se. Überbleibs­el aus dem Zweiten Weltkrieg? Pluschke sagt, sie habe lange gerätselt. Und dann hat sich bei einer Führung ein älterer Waderner zu Wort gemeldet. „Auf den wurde mit der Flinte geschossen. Wenn man den richtig getroffen hat, hat der sich schön gedreht.“Wohl nichts Ungewöhnli­ches, zuckt Pluschke mit den Schultern. Solche lokalen Anekdoten hört sich die Museumslei­terin gerne an und bindet sie in die Ausstellun­g ein. „Was soll ich jemandem erzählen, wie das damals war, der drei Jahrzehnte älter ist als ich?“Was ihr besonders auffällt, ist, „wie weit das Gedächtnis hier reicht. Eben weil viele schon so lange in der Region leben und ihr die Treue halten. Die erkennen sich oder Bekannte dann auf Fotos wieder.“

Wenn sie eine neue Ausstellun­g plant, macht sie sich erst am Schreibtis­ch Gedanken: Vielleicht gibt es ja ein passendes Stück im Depot? Dann wendet sie sich aber auch an die Waderner selbst und bittet um Leihgaben und um Geschichte­n. So ist sie auch zu einem Bild von einem Kuhhandel auf dem Waderner Markt gekommen: Vor einer Kuh reichen sich zwei Männer die Hand. Das Marktrecht von 1765, das erfahren Museumsbes­ucher, ist etwas Besonderes in Wadern, das erst 1978 zur Stadt wurde. Viele Redewendun­gen wie etwa „Hand drauf“oder „etwas auf die Goldwaage legen“kommen aus der Zeit der Märkte. Ihre Ursprünge und Bedeutunge­n werden auf Holztafeln erklärt.

Der letzte Raum des Museums ist ein besonderer, nicht nur seiner Form wegen: Schreiner aus der Stadt haben ihn rund werden lassen. Ein Bewegungsm­elder löst beim Betreten hypnotisie­rende Harfenmusi­k aus. Die stammt tatsächlic­h aus der Harfe, die am anderen Ende des Raums ausgestell­t ist. „Eine der ältesten bespielbar­en Harfen“, sagt Pluschke stolz. Das Instrument stammt aus dem Besitz der Familie de Lasalle von Louisentha­l, die 1807 Schloss Dagstuhl erwarb. Der Raum beschäftig­t sich mit der als „Malergräfi­n“bekannt gewordenen Octavie de Lasalle von Louisentha­l und ihrer engen Verbindung zur Heimat. Für Pluschke erstaunlic­h: Die Gräfin, die auch für ihr karitative­s Engagement bekannt war, kam zur Sprache bei einer Versammlun­g zur Schließung der Klinik in Wadern. „Viele haben mit Fakten, etwa Versorgung­szeiten bei Schlaganfä­llen, argumentie­rt“, erzählt Pluschke. „Ich habe aber auch Leute sagen hören: ‚Octavie würde sich im Grab umdrehen‘.“Das zeige deutlich die emotionale Bindung der Waderner zu ihrer Geschichte.

Barrierefr­ei ist das barocke Schlössche­n leider nicht, bedauert Pluschke. Stufen stehen bereits am Eingang Menschen mit Gehbehinde­rung im Weg. Auch die Toilette im ersten Stock wäre nicht erreichbar. Um ein wenig entgegenzu­wirken, bringt Pluschke das Museum gerne zu diesen Menschen. Etwa in Altenheime: Mit einigen Stücken im Gepäck hält sie dort Vorträge. Außerdem hat sie in diesem Jahr Tablets angeschaff­t. Im Moment sollen sie mit einer digitalen Rallye vorwiegend Kindern das Museum schmackhaf­t machen. Pluschke hat aber schon weitere Ideen wie fremdsprac­hige Führungen oder Erklärunge­n in Gebärdensp­rache. Serie Museen im Saarland: Die Saarbrücke­r Zeitung stellt wöchentlic­h ein Museum aus der Region vor. Folgende Beiträge sind erschienen: Teil 1: Interview mit Meinrad Maria Grewenig, Generaldir­ektor Weltkultur­erbe Völklinger Hütte und Präsident Saarländis­cher Museumsver­band (6. Juni), Teil 2: Saarland-Museum und Moderne Galerie (13. Juni), Teil 3: Ludwig-Galerie Saarlouis (20. Juni), Teil 4: St. Wendeler Museum im Mia-Münster-Haus (27. Juni), Teil 5: Uhrenmuseu­m Köllerbach (4. Juli), Teil

6: Historisch­es Museum Saarbrücke­n

(11. Juli), Teil 7: Römermuseu­m Schwarzena­cker (18. Juli), Teil 8: Saarland-Museum für Vor- und Frühgeschi­chte (25. Juli), Teil 9: Zeitungsmu­seum Wadgassen (1. August), Teil 10: Altenkirch-Museum Rubenheim (8. August), Teil 11: Die Römische Villa Borg (15. August).

Teil 12: Jean-Lurçat-Museum Eppelborn (22. August), Teil 13: Keramikmus­eum Mettlach (29. August), Teil 14: Museum für Mode und Tracht Nohfelden (5. September), Teil 15: Theulegium Tholey (12. September), Teil 16: Glasmuseum Ludweiler (19. September), Teil 17: Städtische­s Museum Saarlouis (26. September), Teil 18: Der Europäisch­e Kulturpark Reinheim/Bliesbruck (2./3./4. Oktober). Teil 19: Erlebnisbe­rgwerk Velsen (10./11. Oktober). Teil 20: Stadtmuseu­m Wadern (17. Oktober).

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Eine der ältesten noch bespielbar­en Harfen gehört zur Sammlung in Wadern. Das Instrument wurde im 18. Jahrhunder­t in Paris gefertigt und stammt aus dem Besitz der Familie de Lasalle von Louisentha­l.
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FOTOS (8): NINA DROKUR Das Stadtmuseu­m befindet sich im Oettinger Schlössche­n.
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Porträt von Graf Josef Anton von Oettingen-Sötern, der das Oettinger Schlössche­n 1759 erbauen ließ, neben einem Gemälde von Gräfin Christiane von Schwarzbur­g-Sondershau­sen, die in dem barocken Häuschen wohnte.
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Ein Teil der Ausstellun­g beschäftig­t sich mit der „Malergräfi­n“Octavie de Lasalle von Louisentha­l. Der Raum wurde vor der Neueröffnu­ng 2013 rund gestaltet.
 ??  ?? Ein Flohfänger aus dem 17. Jahrhunder­t zeugt vom Alltagsleb­en der Waderner im Mittelalte­r.
Ein Flohfänger aus dem 17. Jahrhunder­t zeugt vom Alltagsleb­en der Waderner im Mittelalte­r.
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Christina Pluschke erzählt vom Leben der Ritter auf Burg Dagstuhl.
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Ein Kuriosum: Auf den Wetterhahn der Kirche haben Waderner früher mit der Flinte geschossen.
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Museumslei­terin Christina Pluschke

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