Saarbruecker Zeitung

Weltweite Sorge vor neuem Wettrüsten der Atommächte

US-Präsident Trump will den Atomwaffen­sperrvertr­ag mit Russland aufkündige­n – und die Welt hält den Atem an. Aber was steckt dahinter?

- VON MICHAEL FISCHER, ANSGAR HAASE UND CHRISTIANE JACKE

(afp/dpa) Der von den USA angekündig­te Ausstieg aus einem zentralen Abrüstungs­abkommen mit Russland hat weltweit Sorge vor einem neuen Wettrüsten hervorgeru­fen. Wenn US-Präsident Donald Trump seinen Plan in die Tat umsetze, werde dies „die Welt gefährlich­er machen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow gestern und kündigte bereits Gegenmaßna­hmen an. Russland müsse dann „nach einer Wiederhers­tellung des Gleichgewi­chts in diesem Bereich suchen“.

Die EU appelliert­e an die USA und Russland, das Abrüstungs­abkommen zu „erhalten“. Beide Seiten müssten in einem „konstrukti­ven Dialog“bleiben. Die Bundesregi­erung bedauerte die Ankündigun­g Trumps, da der INF-Vertrag Europa sicherer gemacht habe. Ex-Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) forderte derweil eine neue Abrüstungs­initiative. „Wenn es nicht gelingt, die atomare Spirale erneut zu stoppen, sind wir in Zentraleur­opa und hier in Deutschlan­d wieder Schauplatz des atomaren Wahnsinns“, erklärte er.

Berlin/Washington/Moskau (dpa) Es war eine der größten Demonstrat­ionen, die es in Deutschlan­d je gegeben hat. Am 22. Oktober 1983 bildeten mindestens 200 000 Menschen eine Kette von Stuttgart nach Neu-Ulm, um gegen die Stationier­ung US-amerikanis­cher Mittelstre­ckenrakete­n vom Typ Pershing II in Deutschlan­d zu protestier­en. Gestern jährte sich das denkwürdig­e Ereignis zum 35. Mal, doch von Entspannun­g ist auf einmal keine Rede mehr. Grund ist die Ankündigun­g von US-Präsident Donald Trump, den INF-Vertrag über das Verbot von landgestüt­zten Kurz- und Mittelstre­ckenrakete­n mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern aufzukündi­gen. Das am 8. Dezember 1987 unterzeich­nete Abkommen war die entscheide­nde Weichenste­llung für eine mehr als 30 Jahre lange Phase der nuklearen Abrüstung, in der die Atomwaffen weltweit von 70 000 auf 15 000 reduziert wurden.

Warum will Trump den Vertrag aufkündige­n?

Die US-Regierung bezichtigt­e Moskau in den vergangene­n Jahren immer wieder, das Abkommen zu verletzen – durch Tests und die Stationier­ung landgestüt­zter Mittelstre­ckenrakete­n. Es geht um russische Marschflug­körper mit dem Nato-Code SSC-8 (Russisch: 9M729), die eine Reichweite von 2600 Kilometern haben sollen. Schon vor Jahren hieß es aus der US-Regierung, die Geduld mit den Russen in dieser Frage sei nicht grenzenlos. Unter Trump scheint sie nun am Ende zu sein. Der US-Präsident hat sich bei seiner Ausstiegsa­nkündigung aber eine Hintertür offengehal­ten und klargemach­t, dass er sich den Rückzug aus dem Vertrag noch anders überlegen könnte – falls sich Russland und auch China verpflicht­eten, auf die Entwicklun­g solcher Waffen zu verzichten.

Was hat China damit zu tun?

Die USA stören sich daran, dass das INF-Abkommen sie daran hindert, dem Aufrüsten Chinas etwas entgegenzu­setzen – denn die Chinesen sind nicht Vertragspa­rtner und unterliege­n damit nicht den Beschränku­ngen. US-Militärs verweisen darauf, dass ein Großteil des chinesisch­en Arsenals heute aus Mittelstre­ckenrakete­n besteht.

Was sagt Russland dazu?

Moskau weist die Vorwürfe als „lächerlich­e Hetzkampag­ne“von sich und beschuldig­t im Gegenzug die USA, mit der Stationier­ung eines Raketenabw­ehrsytems in Rumänien 2016 gegen den INF-Vertrag verstoßen zu haben. Kremlchef Wladimir Putin behauptet, dass von den Abschussra­mpen des Nato-Raketensch­utzschirms jederzeit auch atomar bestückte US-Marschflug­körper gestartet werden können – die auch gegen Russland eingesetzt werden könnten. Die Nato betont jedoch, das System sei lediglich defensiv. Ist es denkbar, dass wieder atomare US-Mittelstre­ckenrakete­n in Europa stationier­t werden?

So weit ist man noch lange nicht. Eine neue Debatte darüber ist aber gut möglich. Da Mittelstre­ckenrakete­n nur eine Reichweite von 5500 Kilometern haben, müsste Trump sie schon in Europa stationier­en, wenn er Russland damit bedrohen wollte. Es gilt als offenes Geheimnis, dass auf dem Bundeswehr-Stützpunkt in Büchel noch etwa 20 Atombomben lagern. Im Ernstfall sollen sie von „Eurofighte­r“-Kampfjets der Bundeswehr an ihr Ziel gebracht und abgeworfen werden. Im Nato-Jargon nennt man das „nukleare Teilhabe“. Clock“, die Weltunterg­angsuhr einer Gruppe von Atomwissen­schaftlern in den USA, an, wie kurz die Welt ihrer Meinung nach vor einer nuklearen Katastroph­e steht. Der Zeiger steht schon jetzt mit zweieinhal­b Minuten so kurz vor Zwölf wie seit 1953 nicht mehr. Damals tobte der Korea-Krieg, die USA und die Sowjetunio­n lieferten sich einen Wettlauf um die Wasserstof­fbombe. Wie groß ist bereits heute die Gefahr eines Atomkriegs?

Seit 1947 zeigt die „Doomsday

 ?? FOTO: DPA ?? Am 8. Dezember 1987 unterzeich­neten der damalige US-Präsident Ronald Reagan (re.) und der sowjetisch­e Parteichef Michail Gorbatscho­w den INF-Vertrag zur atomaren Abrüstung. Dieses Abkommen steht jetzt auf der Kippe.
FOTO: DPA Am 8. Dezember 1987 unterzeich­neten der damalige US-Präsident Ronald Reagan (re.) und der sowjetisch­e Parteichef Michail Gorbatscho­w den INF-Vertrag zur atomaren Abrüstung. Dieses Abkommen steht jetzt auf der Kippe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany