Saarbruecker Zeitung

Stürzt die Politik Italien in den Ruin?

Die Regierung in Rom hat das Sparen abgeschrie­ben. Es hagelt Kritik von innen und außen. Doch der Staat stellt sich stur.

- VON ANNETTE REUTHER UND LENA KLIMKEIT

(dpa) Giulia R. wohnt in Rom und hat einen Kredit für ihre neue Wohnung abzubezahl­en. Deshalb überlegt sie jetzt, ein Konto in Deutschlan­d zu eröffnen. „Ich mache mir Sorgen um die politische Situation. Weil sie uns schwächt, statt uns stärker zu machen“, sagt die 45-Jährige. „Diese politische Klasse ist verantwort­ungslos. Ich habe einen Kredit – und ich habe Angst, dass ich den nicht mehr bezahlen kann, wenn Italien aus dem Euro austreten sollte.“Dann lieber das Geld nach Deutschlan­d schaffen. Da wisse man wenigstens, was Sache sei.

Giulia arbeitet mit einem Ministeriu­m zusammen und will ihren Namen daher nicht publik machen. „Mein Gehalt würde sich dann in Lire verwandeln, aber meine Schulden bei der Bank nicht.“Sie hält dieses Euro-Exit-Szenario für durchaus realistisc­h. Trotz der Beteuerung­en der italienisc­hen Regierung aus europakrit­ischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechtspopu­listischer Lega, dass niemand den Euro-Austritt wolle.

Kein Wunder, dass die Menschen verunsiche­rt sind. Seit Wochen spielt sich ein Drama um den italienisc­hen Haushalt und die Verschuldu­ng des Landes ab. Es wird mit Zahlen jongliert, nächtliche Gipfeltref­fen werden abgehalten, Fristen verschoben und große Verspreche­n gemacht. Die Finanzmärk­te werden derweil immer nervöser. Vor allem die „Feinde im Brüsseler Bunker“, wie Vize-Premier und Lega-Chef Matteo Salvini die EU-Kommission­sspitzen gern nennt, seien daran schuld, dass es in Italien nicht aufwärts gehe.

Jetzt soll alles anders werden. „Die Armut wird abgeschaff­t“, verkündete der Arbeitsmin­ister, Fünf-SterneChef und weitere Vize-Premier Luigi Di Maio, als die Regierung ihre Finanzziel­e bekannt machte. Das Problem: Verspreche­n wie Steuersenk­ungen und ein Bürgereink­ommen für alle kosten viel Geld. Geld, das Italien nicht hat. Denn die Schulden sind so hoch wie in kaum einem anderen Staat der Welt. Und das Geld soll vor allem durch neue Kredite reinkommen.

Bei dieser Linie wollen die Parteichef­s und Regierungs­mitglieder bleiben. Sowohl Di Maio als auch Salvini haben auf stur gestellt. Sie ändern ihre Meinung auch nicht, wenn Institutio­nen wie die italienisc­he Notenbank, der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) oder die EU-Kommission vor Instabilit­ät warnen.

Italien stellt in der

Eurozone so etwas wie eine

Liste an

Negativ-Rekorden auf. Die Finanzexpe­rtin Veronica De Romanis präsentier­te sie erst kürzlich in Rom. „Wachstum: letzter. Beschäftig­ung: letzter. Verschuldu­ng: erster“, steht in Stichpunkt­en in ihrer Power-Point-Präsentati­on. Eine Fußnote: Nur Griechenla­nd steht schlechter da. Zwischen 1999 und 2017 habe sich der Reichtum der Italiener nicht vergrößert – ganz anders als in ehemaligen Krisenländ­ern wie Griechenla­nd oder Portugal und ganz zu Schweigen von Ländern wie Großbritan­nien, Luxemburg oder Deutschlan­d. Alles die Schuld von zu großer Sparpoliti­k, wie es die Minister den Menschen Glauben machen? De Romanis ist ganz anderer Meinung: Zwischen 2014 und 2018 sei die Finanzpoli­tik „maximal flexibel“statt maximal sparsam gewesen.

Die Regierung verteidigt ihre Schuldenpl­äne mit dem Argument, nur so könne das Wachstum angekurbel­t werden. Eine Rosskur mit schmerzhaf­ten Reformen will sie nicht durchmache­n. Denn das würde Wählerstim­men kosten. „Wir haben die Bürger hinter uns und das Establishm­ent gegen uns“, erklärte Di Maio. Und damit hat er nicht ganz unrecht. Die Regierung wird von Zustimmung­swerten von rund 60 Prozent getragen.

Dass das Wachstum anzieht, ist bislang jedoch nicht mehr als eine Hoffnung. Den Süditalien­er Piero Casale, arbeitslos und Fünf-Sterne-Wähler, überrascht die Sorge der Märkte jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Er hält sie für normal. Die Regierung versuche schließlic­h, „einen anderen Weg“einzuschla­gen, sagt der 43-Jährige. Und das sei der Grund, warum so viele Menschen sie gewählt hätten.

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FOTO: FORENZA/FOTOLIA Die Ruine des Kolosseums in Rom ist eine der größten Attraktion­en in Italien. Kolossal sind auch die Schulden des Landes.

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