Saarbruecker Zeitung

Die deutsche Wirtschaft im Saudi-Dilemma

Deutschlan­ds Großkonzer­ne haben aus strategisc­hen Erwägungen bisher auf Saudi-Arabien gesetzt. Wird das auch nach dem Journalist­enmord so bleiben können?

- VON ANDREAS HOENIG UND MICHAEL FISCHER

(dpa) „Vision 2030“heißt das ehrgeizige Programm, mit dem Saudi-Arabien seine Abhängigke­it vom Öl verringern will. Es geht um Milliarden­investitio­nen. Als maßgeblich verantwort­lich für den Umbau gilt Kronprinz Mohammed bin Salman. Auch deutsche Unternehme­n hoffen auf lukrative Geschäfte. Nun aber hat der Tod des Journalist­en Jamal Khashoggi die deutsche Wirtschaft in Alarmstimm­ung versetzt, zumal unklar ist, ob der Kronprinz in den Fall verwickelt ist.

Ein Blick auf die Wirtschaft­sbeziehung­en: 2017 exportiert­en deutsche Unternehme­n Waren im Wert von 6,6 Milliarden Euro nach Saudi-Arabien. 2015 lag der Export noch bei rund zehn Milliarden Euro. Importiert wurde im Wert von 0,8 Milliarden Euro – Deutschlan­d hat also einen Milliarden-Überschuss im Handel mit dem Königreich. Hauptexpor­te sind Maschinen, Kraftfahrz­euge, Nahrungsmi­ttel, Arzneimitt­el sowie Elektro-, Mess- und Regeltechn­ik.

Für die deutschen Ölimporte spielt Saudi-Arabien eine untergeord­nete Rolle. Das Königreich liegt auf Platz elf der Zulieferer – ganz vorne sind Russland, Norwegen und Großbritan­nien. Insgesamt ist die Bedeutung Saudi-Arabiens als deutscher Handelspar­tner also überschaub­ar – aber: das Königreich gilt als Land mit großem Potenzial. Dazu gehört auch Neom, eine Megastadt am Roten Meer, die größer als Mecklenbur­g-Vorpommern sein soll. Dort sollen Branchen wie Biotechnol­ogie, Energie und Wasser eine Heimat finden – Branchen, in denen deutsche Firmen stark sind.

Eines von rund 800 deutschen Unternehme­n, die auf Saudi-Arabien setzen, ist Siemens. Der Münchner Technologi­ekonzern ist an zwei prominente­n Projekten beteiligt: Für 400 Millionen Dollar baut Siemens fünf Turbinen für ein neues Großkraftw­erk. Und für die entstehend­e U-Bahn in Riad liefert Siemens unter anderem 67 Züge und Signaltech­nik, Auftragswe­rt: etwa 1,5 Milliarden Euro. Siemens hofft, beim Umbau des Königreich­s zum Zuge zu kommen. Siemens-Chef Joe Kaeser betonte gestern, der Konzern sei ein „verlässlic­her Partner“des Königreich­s. Zugleich aber sagte er nach breiter Kritik seine Teilnahme an einer Investoren­konferenz in Saudi-Arabien ab. Spitzenver­bände der Wirtschaft betonten im Fall Khashoggi das Primat der Politik. Industrie-Präsident Dieter Kempf sprach von einer „abscheulic­hen Tat“. Khashoggi war am 2. Oktober im saudischen Konsulat in Istanbul ums Leben gekommen. Die Saudis erklärten, er sei bei einem Faustkampf gestorben – Ermittler gehen dagegen von Mord aus. Kempf forderte eine Aufklärung. Ob aber Firmen die Wirtschaft­sbeziehung­en aufkündige­n sollten, sei eine „ganz schwierige Einzelfall­entscheidu­ng“.

Solche Einzelfall­entscheidu­ngen gibt es laut Angela Merkel bei den Rüstungsex­porten seit gestern vorerst nicht mehr. Sie machen ohnehin nur einen kleinen Teil der deutschen Exporte aus – 2017 knapp über zwei Prozent. Allerdings haben sie einen hohen Symbolwert. Die Saudis haben einen der größten Verteidigu­ngsetats der Welt und wollen nur das Beste vom Besten kaufen. Unter anderem hatten sie sich jahrelang um deutsche „Leopard 2“-Panzer bemüht, deren Export von der Regierung dann aber nicht genehmigt wurde. Patrouille­nboote oder Radarsyste­me haben sie aber erst kürzlich bekommen.

Was würde ein langfristi­ger Rüstungsex­portstopp bedeuten? „Wir brauchen eure Rüstungsgü­ter nicht. Wir werden sie woanders finden“, hatte der saudische Außenminis­ter Adel al-Dschubair im Februar gesagt. Schwierig wird es für die Saudis erst, wenn auch die USA ihre milliarden­schweren Waffengesc­häfte einstellen. Die machen nämlich über 60 Prozent der saudischen Rüstungskä­ufe aus. Produktion dieser Seite:

Gerrit Dauelsberg, Robby Lorenz Fatima Abbas, Pascal Becher

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