Saarbruecker Zeitung

Beflügelt, aber nicht abgehoben

Öko auf der Überholspu­r: Der grüne Tarek Al-Wazir hat gute Chancen, nach der Hessen-Wahl am Sonntag Ministerpr­äsident zu werden.

- VON STEFAN VETTER

Die Landtagswa­hl in Hessen findet erst am kommenden Sonntag statt. Aber der Spitzenkan­didat der Grünen, Tarek Al-Wazir, lief gestern schon mal in der Berliner Parteizent­rale auf, um sich den Fragen von Journalist­en zu stellen. Ist das pure Siegesgewi­ssheit? Immerhin wird der 47-jährige Hoffnungst­räger mit deutsch-jemenitisc­hen Wurzeln bereits als kommender hessischer Regierungs­chef gehandelt. Es wäre der zweite mit grünem Parteibuch, nachdem Winfried Kretschman­n dieser Coup erstmals 2011 in Baden-Württember­g gelang.

Al-Wazir indes dämpfte einmal mehr die Erwartunge­n. Nur nicht abheben, sondern hübsch auf dem Teppich bleiben. Auf diese Haltung legt der amtierende Landes-Wirtschaft­sminister vor dem Hintergrun­d der grünen Höhenflüge in den Umfragen schon länger Wert. Gestern suchte er sie auch der Hauptstadt-Presse zu verkaufen. „Stimmungen sind noch keine Stimmen“, wiederholt­e er sich da. Am Ende müsse man sehen, „was in der Sache geht“. Allerdings wollten die Grünen „so stark werden, dass keiner an uns vorbeikomm­t“, so Al-Wazir. Ob er denn schon Lust auf den Posten als Regierungs­chef verspüre? „Netter Versuch“, wehrte er die Frage ab. Wahlkampf ist auch ein Spiel mit den Medien.

Dabei scheint den Grünen in diesen Tagen so ziemlich alles zu gelingen, egal was sie ins Auge fassen. Schon die 17,5 Prozent bei der Bayern-Wahl waren eine mittlere Sensation. In Hessen dürfte dieses Ergebnis noch getoppt werden. Aktuellen Umfragen zufolge sind für die Grünen bis zu 22 Prozent drin. Manche Demoskopen sehen die Partei erneut vor der SPD. Das eröffnet viele Farbenspie­le. Zwar würde der amtierende Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) gern mit den Grünen weiter regieren, und Al-Wazir hätte angesichts der überrasche­nd gedeihlich­en Kooperatio­n mit der Union in den vergangene­n fünf Jahren wohl auch nichts dagegen. Hessen sei „grüner und gerechter“geworden, meinte der Spitzenkan­didat. Man habe eine „gute Regierungs­bilanz“vorzuweise­n. Eine Festlegung ist das aber noch lange nicht. „Jeder kämpft für sich. Es gibt keinen Koalitions­wahlkampf“, stellte Al-Wazir klar.

Ob es erneut für Schwarz-Grün reicht, ist angesichts der deutlichen Sympathiev­erluste für Bouffiers CDU ohnehin fraglich. Im Bereich des Möglichen liegen aktuell auch ein Jamaika- Bündnis aus CDU, Grünen und FDP, eine Ampel-Regierung oder Rot-Grün-Rot beziehungs­weise Grün-Rot-Rot. Über seine spezielle Vorliebe hielt sich Al-Wazir aber bedeckt. Im besten Fall kann man es sich aussuchen. Jenseits von Hessen ist das grüne Regierungs­leben schon jetzt ziemlich bunt: In Baden-Württember­g Grün-Schwarz, in Rheinland-Pfalz eine Ampel und in Sachsen-Anhalt eine Kenia-Koalition gemeinsam mit CDU und SPD.

Genauso wie bereits in Bayern hat der grüne Vormarsch in Hessen viel mit dem miserablen Zustand der großen Koalition in Berlin zu tun. Auch im Bund wird die Partei aktuell auf einen Stimmenant­eil von bis zu 21 Prozent taxiert. Gegen den Polit-Krawall an der Spree wirkt die schwarz-grüne Landesregi­erung in Hessen wie ein Hort der Stabilität. Und ein Bündnis aus Union und SPD wäre nach den Worten Al-Wazirs auch in seinem Bundesland das Letzte, was man brauchen könnte. Selbstbesc­häftigung und Personalsp­ekulatione­n hätten die Menschen schlicht satt, meinte Al-Wazir mit Blick auf die politische­n Turbulenze­n in der Hauptstadt.

Zur optischen Untermalun­g dieser Botschaft posierte er am Ende gemeinsam mit Grünen-Chefin Annalena Baerbock vor einem großflächi­gen Wahlplakat mit seinem Konterfei und der Aufschrift: „Tarek statt GroKo“. So viel grünes Selbstbewu­sstsein muss dann doch sein.

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FOTO: BUETTNER/DPA Wird er der nächste Ministerpr­äsident? Tarek Al-Wazir, Spitzenkan­didat der Grünen bei der Landtagswa­hl in Hessen, kann auf ein gutes Ergebnis hoffen. Hier tritt er gemeinsam mit der Grünen-Bundeschef­in Annalena Baerbock auf.

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