Saarbruecker Zeitung

Im Kongo gehört sexuelle Gewalt zum Alltag

In dem afrikanisc­hen Krisenstaa­t sind Vergewalti­gungen gang und gäbe. Da die Täter meistens Militärs und Polizisten sind, gibt es kaum Hilfsangeb­ote.

- VON BETTINA RÜHL Produktion dieser Seite: Pascal Becher, Fatima Abbas Gerrit Dauelsberg

(epd) In Félistas Blick schleicht sich immer noch leichte Überraschu­ng, wenn sie auf den Säugling schaut, den sie im Arm hält. Dabei geht die junge kongolesis­che Mutter liebevoll mit ihrem Sohn Ajuwa um, der gerade etwas jammert und offensicht­lich unzufriede­n ist. Félista ist selbst noch ein halbes Kind, sie ist gerade 16 geworden, und nun schon seit zwei Monaten Mutter. „Ich war auf dem Rückweg von der Schule“, sagt sie leise.

Nach jedem Satz macht sie eine Pause – und schaut dabei immer wieder zu Juliette Mapendo, die zur katholisch­en Kommission für Gerechtigk­eit und Frieden (CDJP) gehört. Deren Mitglieder kämpfen in der Demokratis­chen Republik Kongo für Menschenre­chte, unterstütz­en Frauen wie Félista. „Mir kam ein Soldat entgegen.“Pause. „Er hat mich zwischen die Bäume am Wegrand gezerrt. Er hat mir Gewalt angetan. Nachdem er fertig war, hat er gesagt, dass ich abhauen soll.“

Sie lebt bei ihrer älteren Schwester in einem Dorf etwa 30 Kilometer von Bukavu entfernt, der Hauptstadt der Provinz Südkivu im Osten des Landes. Félista ist es sichtlich unangenehm, über ihre Geschichte zu sprechen, aber sie weiß auch, dass sie in diesem Rahmen offen reden kann. Außer Mapendo hört auch Nene Bintu Iraqi zu. Die Anwältin ist ebenfalls Mitglied der CDJP und begleitet Opfer von Menschenre­chtsverlet­zungen juristisch.

Kirchliche und weltliche Menschenre­chtsaktivi­sten kämpfen seit Jahren dafür, dass sexuelle Gewalt im Kongo geahndet wird. Es handelt sich oft um unfassbare Gräueltate­n, denn sexuelle Gewalt ist eine Waffe im Krieg um die reichen Rohstoffvo­rkommen der Region – und dieser Krieg dauert im Osten des Landes schon 20 Jahre. Die Bevölkerun­g wird mit Vergewalti­gungen terrorisie­rt, aus ihren Dörfern vertrieben. Milizionär­e demonstrie­ren so ihre Macht gegenüber den Männern, die nichts dagegen machen können.

Unter den Tätern sind auch viele Soldaten und Polizisten – Repräsenta­nten der Regierung also, die doch eigentlich die Bevölkerun­g vor Gewalt schützen sollten. Menschenre­chtsaktivi­sten schätzen die Zahl der überlebend­en Opfer auf mehr als 200 000. Die Überlebend­en brauchen Jahre, um mit den psychische­n und körperlich­en Folgen fertig zu werden. Die Täter bleiben hingegen fast immer straffrei, Menschenre­chtsaktivi­sten kritisiere­n das seit Jahren. Und seien Militärs die Täter, würden nur die unteren Ränge verfolgt, Kommandeur­e kämen meist ohne Strafe davon. Aber bisweilen urteilten die Militärger­ichte eben doch, sagt Nene Bintu Iraqi. „Und dann manchmal sehr konsequent. Viel effiziente­r als zivile Gerichte.“

Verurteilt wurde auch der Mann, der Félista vergewalti­gte: Weil sein Opfer minderjähr­ig war, bekam er 20 Jahre Haft. Und er sitzt auch tatsächlic­h im Gefängnis. Womöglich nicht lange, denn immer wieder kaufen sich Verurteilt­e durch Schmiergel­dzahlungen frei, wie Frauenrech­tsorganisa­tionen und die CDJP kritisiere­n. „Aber es hat sich was geändert“, betont die Anwältin. Seit die Gefahr besteht, für die Verbrechen belangt zu werden, dächten wenigstens einige Soldaten zweimal nach, ehe sie eine Frau vergewalti­gten.

In einem weiteren wichtigen Punkt würden die Gesetze bis heute nicht beachtet: „Die Opfer haben ein Anrecht auf Entschädig­ung, aber die kriegen sie nie.“Auch Félista bekommt weder vom Staat noch von der Familie des Täters irgendeine Unterstütz­ung. Sie und ihre Familie leben von ihren Feldern, außerdem verkaufen sie Bauholz. Wenn sie Glück haben, reicht ihr Verdienst für das Nötigste. Seit Félista auch noch ihren Sohn ernähren muss, kann sie sich die Schule nicht mehr leisten, dabei hätte sie gerne noch gelernt.

Auch Jacqueline Furaha Kanyenge musste ihre Träume aufgeben. Bis sie ein Polizist auf dem Heimweg vergewalti­gte und sie Mutter wurde, ging auch sie auf die weiterführ­ende Schule. Heute schlägt sich die 20-Jährige als Tagelöhner­in durch. Als sie ihren Eltern von der Vergewalti­gung erzählte, unternahme­n die nichts. Jacqueline hat dafür Verständni­s: „Wir wussten ja nicht, wer der Täter war.“Sie wusste noch nicht mal, dass eine Anzeige gegen Unbekannt möglich ist. Aber das ist sowieso nur Theorie, bestätigt Nene Bintu Iraqi. Wer wolle, dass die Justiz tätig werde, müsse Geld mitbringen: für Papier und Stifte, für Benzin. Andernfall­s passiere gar nichts.

„Weil das im Kongo schon seit vielen Jahren so ist, denken die meisten Menschen gar nicht mehr an Polizei oder Justiz, wenn sie Opfer eines Verbrechen­s werden“, kritisiert die Anwältin. Georges Kapiamba stimmt ihr zu. Er leitet den „Kongolesis­chen Verein für den Zugang zu Justiz“. Wer kein Geld habe, sagt auch er, habe keine Möglichkei­t, seine Rechte einzuklage­n. Zwar gebe es im Kongo Gerichtsge­bäude, Staatsanwä­lte, Richter. „Das, was man unter Recht oder Gerechtigk­eit versteht, gibt es hier nicht.“

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FOTO: EPD Die 16-Jährige Kongolesin Félista wurde nach der Vergewalti­gung durch einen Soldaten schwanger und hat vor zwei Monaten ihren Sohn Ajuwa geboren.

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