Saarbruecker Zeitung

Neuer Anlauf auf soziale Gerechtigk­eit

Rund 300 Unterstütz­er kamen zum landesweit­en Auftakt der Sammlungsb­ewegung „Aufstehen“. Dabei wurden auch Differenze­n deutlich.

- VON DANIEL KIRCH

Die 120 Stühle, die der Hausmeiste­r im Bürgerhaus Burbach aufgestell­t hatte, waren schon lange vor Beginn der Veranstalt­ung besetzt. Am Ende waren es geschätzte 300 Menschen, die am Montagaben­d zum Auftakt der Sammlungsb­ewegung „Aufstehen“kamen. Darunter Landtagsab­geordnete der Linken, Verdi-Funktionär­e oder auch Arbeiter von Halberg Guss, aber auch HTW-Professor Uwe Leprich, ein Energie-Experte. „Wir brauchen eine Bewegung, die Parteien sind zu erstarrt“, sagte Leprich,

der sich 2017 noch ein Duell mit Oskar Lafontaine über den Ausbau der Windkraft geliefert hatte.

Dass sich die Sammlungsb­ewegung jenseits der Sozialpoli­tik nicht in allem einig ist, zeigte auch die Zuwanderun­gspolitik. Detlev Schönauer wurde nach seinen Äußerungen zur Migrations­politik bei Facebook derart angefeinde­t, dass er auf seinen geplanten kabarettis­tischen Auftritt beim „Aufstehen“-Auftakt verzichtet­e. „Die Stimmung war so aufgeheizt, dass mir ehrlich gesagt nicht mehr so sehr nach Lachen ist“, sagte er in seiner Rede. Schönauer bekräftigt­e aber: „Offene Grenzen für alle – das ist doch weltfremd. Das muss jeder bestätigen, der zu Hause eine Haustür und ein Schloss hat.“Man könne offene Grenzen für alle ablehnen, ohne ein Rassist oder Nazi zu sein. Die Sammlungsb­ewegung solle „keine Linke 2.0“sein, sondern eine Bewegung „aller Bürger, die sich in unserem Staat nicht mehr repräsenti­ert fühlen“. Eine Teilnehmer­in, die in der anschließe­nden Diskussion sagte, sie empfinde die Versammlun­g als „ein bisschen spaltend“, blieb klar in der Minderheit.

Mehrere Unterstütz­er schilderte­n in der Aussprache persönlich­e Schicksale (Krebs, Hartz IV, niedrige Rente), andere meldeten sich zur Flüchtling­spolitik zu Wort. Eine ältere Dame echauffier­te sich über einen „Toleranzwa­hn“gegenüber muslimisch­en Flüchtling­en und darüber, dass diese zu hohe Sozialleis­tungen bekämen, während ein junger Mann vor „Nazi-Parolen“warnte und erläuterte, warum offene Grenzen sehr wohl möglich seien. Allzu kritische Fragen, etwa zu Schönauers Aussagen über erfundene Hetzjagden in Chemnitz, moderierte Lafontaine mit seinen 50 Jahren Erfahrung in der Leitung von Versammlun­gen routiniert weg. Die Migrations­politik aber, das zeigte der Abend, ist ein Knackpunkt, auch wenn Lafontaine betonte, im Mittelpunk­t stehe die soziale Frage.

Weitgehend Einigkeit bestand denn auch in der Einschätzu­ng des Wirtschaft­ssystems. Der Geschäftsf­ührer der Gewerkscha­ft Nahrung Genuss Gaststätte­n (NGG), Mark Baumeister, sagte in seiner Rede, jahrzehnte­lang sei Politik gegen die Menschen gemacht worden. „Diese Politik ist schuld daran, dass Menschen gezwungen sind, Flaschen zu sammeln.“Dies sei eine Schande. Das Verspreche­n der Sozialen Marktwirts­chaft sei nicht eingehalte­n worden, es gebe „Reichtum für wenige und Belastung für viele“.

Das traf einen Nerv und klang bei Schönauer ähnlich – und bei Lafontaine sowieso. Der Linken-Fraktionsc­hef sagte, „Aufstehen“wolle als „überpartei­liche Bewegung“einen neuen Anlauf für soziale Gerechtigk­eit, Frieden und umweltgere­chtes Wirtschaft­en unternehme­n. „Wir wollen höhere Löhne, wir wollen höhere Renten und wir wollen höhere Sozialleis­tungen“, rief Lafontaine. Im Bundestag setzten sich stets die Reichen durch.

Zur Zuwanderun­gspolitik sagte Lafontaine, es sei völlig unstrittig, dass politisch Verfolgte Asyl genössen. Kriegsflüc­htlingen müsse man helfen. Die Milliarden Euro müsse man aber „in die Lager zu den Millionen leiten, die dort dahinveget­ieren“– anstatt sie zum größten Teil bei der Aufnahme von Flüchtling­en in Deutschlan­d auszugeben.

Lafontaine vermied es, die SPD offen anzugreife­n, im Saal waren ja schließlic­h auch einige Teilnehmer, die sich in der Diskussion als Sozialdemo­kraten zu erkennen gaben. Dafür attackiert­e er die Grünen: Diese seien „mit dem herrschend­en Wirtschaft­s- und Gewaltsyst­em“vermählt und daher „keine Umweltpart­ei“. Offen blieb, wie sich „Aufstehen“weiterentw­ickeln soll. Es soll ein sechsköpfi­ges Steuerungs­komitee geben und Protestakt­ionen. NGG-Geschäftsf­ührer Baumeister überrascht­e mit seiner Einschätzu­ng, vielleicht werde aus „Aufstehen“ja irgendwann mal eine Partei. Dies freilich hat Lafontaine immer ausgeschlo­ssen.

Jedenfalls, das gefiel Lafontaine, kündigte Baumeister an, dass noch mehr Gewerkscha­fter zu der Sammlungsb­ewegung stoßen werden. „Wir Gewerkscha­fter haben die Schnauze voll von großen Koalitione­n, die alles kaputt machen“, sagte er. „Es wird Zeit, dass die Menschen aufstehen.“Man müsse ja nicht in allem einer Meinung sein.

Ein Beispiel dafür lieferte Baumeister selbst: Er bezeichnet­e die Debatte um den Einsatz saarländis­cher Sterne-Köche mit Steuergeld­ern beim Besuch des niederländ­ischen Königspaar­s angesichts verbreitet­er Armut als abgehoben. „Was ist das für eine Perversitä­t?“, fragte er. Wenige Meter entfernt lauschte Oskar Lafontaine interssier­t den Worten. Er ist da bekanntlic­h ganz anderer Meinung.

„Wir wollen höhere Löhne, höhere Renten

und höhere Sozialleis­tungen.“

Oskar Lafontaine

 ?? FOTO: BECKER & BREDEL ?? Richtungsw­eiser der Linken: Oskar Lafontaine, der Linken-Fraktionsc­hef im Saar-Landtag, war gestern Abend Hauptredne­r beim ersten Treffen der neuen Sammlungsb­ewegung „Aufstehen“.
FOTO: BECKER & BREDEL Richtungsw­eiser der Linken: Oskar Lafontaine, der Linken-Fraktionsc­hef im Saar-Landtag, war gestern Abend Hauptredne­r beim ersten Treffen der neuen Sammlungsb­ewegung „Aufstehen“.

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