Saarbruecker Zeitung

Die neue Angst vor einem Atomkrieg

Zwar ist die weltweite Zahl der Nuklearwaf­fen seit dem Kalten Krieg gesunken. Potenziell­e Konflikthe­rde nehmen jedoch zu.

- VON MICHAEL FISCHER UND ANDREAS LANDWEHR

(dpa) Im Kalten Krieg war die Gefahr eines Atomkriegs zwar sehr real, aber auch übersichtl­ich. Es gab zwei Machtblöck­e, die jeweils so viele Atomwaffen besaßen, dass ein Angriff ohne einen verheerend­en Gegenschla­g des anderen unmöglich war. Nukleare Abschrecku­ng nannte man das – ein Prinzip, das zwischen der Nato und Russland bis heute gilt. Seit dem Ende des Kalten Krieges ist die Zahl der Atomwaffen von 70 000 auf deutlich unter 15 000 geschrumpf­t. Gleichzeit­ig haben allerdings die potenziell­en Konflikthe­rde für einen Atomkrieg zugenommen. Das größte Problem ist aber: Die Verlässlic­hkeit in der internatio­nalen Politik und damit auch zwischen den Atommächte­n hat dramatisch abgenommen, seit Donald Trump vor knapp zwei Jahren ins Weiße Haus eingezogen ist.

Der US-Präsident hat den Ausstieg aus gleich zwei Abkommen erklärt, die einem neuen atomaren Wettrüsten entgegenwi­rken sollen. Nach Ansicht von Experten ist die atomare Bedrohung damit heute wieder so groß wie zur Zeit des Kalten Krieges. Derzeit gibt es gleich eine ganze Reihe von Gefahrenhe­rden auf der Welt:

Da wäre die jüngste Ankündigun­g von Trump, den INF-Vertrag mit Russland zu beenden. Die USA werfen Moskau seit mehr als drei Jahren offen Vertragsbr­uch vor. Ihrer Einschätzu­ng nach entwickeln und erproben die russischen Streitkräf­te eine neue landgestüt­zte Mittelstre­ckenrakete. Russland wirft den USA im Gegenzug vor, den Vertrag mit der Errichtung einer Raketenabw­ehrstation der Nato in Rumänien verletzt zu haben. Vertragsun­terzeichne­r und Friedensno­belpreistr­äger Michail Gorbatscho­w prophezeit­e bereits im vergangene­n Jahr dramatisch­e Auswirkung­en für den Fall einer Aufkündigu­ng des Vertrages: „Wenn das System der Atomwaffen­begrenzung zusammenbr­äche (...), wären die Folgen katastroph­al.“Der Vertrag gilt als Basis einer 30-jährigen Phase atomarer Abrüstung. Die Aufkündigu­ng könnte die Wende zu einem neuen Wettrüsten in Europa bedeuten.

Und auch darüber hinaus: Denn der geplante Rückzug der USA aus dem INF-Abrüstungs­abkommen hat mindestens so viel mit China zu tun wie mit Russland. Nach US-Angaben hat Chinas Volksbefre­iungsarmee das weltweit größte Arsenal von mehr als 2000 ballistisc­hen Raketen und Marschflug­körpern. Davon würden 95 Prozent unter das Abkommen fallen, wenn China Vertragspa­rtner wäre. Die Atommacht im fernen Osten ist mit rund 280 nuklearen Sprengköpf­en zwar klein im Vergleich zu den USA mit 6450. Aber es geht den Vereinigte­n Staaten genauso um konvention­elle Schlagkraf­t. Denn die Raketen können China im Kriegsfall dazu dienen, die US-Streitkräf­te im Pazifik zu stören. Die USA können den chinesisch­en Waffen bereits jetzt Raketen auf Schiffen oder an Flugzeugen entgegense­tzen, die nicht vom INF-Vertrag betroffen sind. Aber Experten denken daran, sich von den Beschränku­ngen des Abkommens zu befreien, um Mittelstre­ckenrakete­n auf der US-Pazifik-Insel Guam oder im Norden Australien­s zu stationier­en und damit auf China zu zielen.

Eine neuen Abrüstungs­vertrag mit China und Russland gemeinsam zu verhandeln, wie Trump vorgeschla­gen hat, halten Diplomaten für illusorisc­h. China argumentie­rt, dass die Mittelstre­ckenrakete­n dazu dienen, seine mehr als 20 000 Kilometer langen Grenzen zu schützen.

Dabei geht es auch um andere Länder – allen voran den Rivalen Indien. Das Land ist seit Jahrzehnte­n Atommacht, galt aber lange als Verfechter nuklearer Abrüstung. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre vollzog Indien eine Kehrtwende und testete 1998 erstmals wieder Atomwaffen. Das Nuklearars­enal dient vor allem der Abschrecku­ng Pakistans. Der Konflikt zwischen den beiden Ländern führte seit 1947 zu vier Kriegen. Beide verfügen über etwa gleich viele Atomwaffen. Das Friedensfo­rschungsin­stitut Sipri schätzt die Zahl auf jeweils 130 bis 150.

Ein weiterer Gefahrenhe­rd befindet sich im Nahen Osten: Im Mai schockte Trump die Welt bereits mit seinem Ausstieg aus dem Atomabkomm­en mit dem Iran. 2015 hatten sich darin die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheit­srats und Deutschlan­d verpflicht­et, Sanktionen gegen die Islamische Republik aufzuheben, um die Entwicklun­g

„Wenn das System der Atomwaffen­begrenzung zusammenbr­äche, wären die Folgen katastroph­al.“

Michail Gorbatscho­w

Ex-Präsident der Sowjetunio­n und Friedensno­belpreistr­äger

einer iranischen Atombombe zu verhindern. Mit dem Ausstieg der USA ist die Vereinbaru­ng stark ins Wanken geraten. Die Europäer versuchen zwar noch, sie zu retten – die Chancen stehen aber nicht besonders gut. Platzt das Abkommen, könnte das zu einem atomaren Rüstungswe­ttlauf im Nahen Osten führen. Auch Saudi-Arabien könnte dann nach der Atombombe greifen. Und in Israel lagern laut Sipri bereits jetzt 80 Nuklearwaf­fen.

Und schließlic­h Nordkorea: Der stalinisti­sche Staat besitzt ebenfalls Mittel- und Langstreck­enraketen, die vermutlich auch mit Atomspreng­köpfen bewaffnet werden könnten. Das Land soll zwischen zehn und 20 nukleare Sprengköpf­e besitzen. Vielleicht weil Machthaber Kim Jong Un seine Kapazitäte­n ausreichen­d unter Beweis gestellt hat und die massiven internatio­nalen Sanktionen weh tun, verfolgt der Machthaber seit Jahresanfa­ng überrasche­nd eine Annäherung an Südkorea und die USA. Doch wann und wie abgerüstet werden kann, ist völlig offen.

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FOTO: DPA ?? Am 9. August 1945 wurde im japanische­n Nagasaki zum zweiten und bislang letzten Mal eine Atombombe in einem Krieg eingesetzt. Bei der Explosion stieg eine 18 000 Meter hohe pilzförmig­e Rauchwolke auf. Außenminis­terHeiko Maas
FOTO: DANA/DPA FOTO: DPA Am 9. August 1945 wurde im japanische­n Nagasaki zum zweiten und bislang letzten Mal eine Atombombe in einem Krieg eingesetzt. Bei der Explosion stieg eine 18 000 Meter hohe pilzförmig­e Rauchwolke auf. Außenminis­terHeiko Maas
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FOTO: WALSH/AP/DPA US-Präsident Donald Trump will nach dem Atomabkomm­en mit dem Iran auch einen Abrüstungs­vertrag mit Russland kündigen.

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