Saarbruecker Zeitung

„Populismus kann den Euro zerstören“

Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung sieht in italienisc­hen Schulden erhebliche Gefahren.

- Produktion dieser Seite: Volker Meyer zu Tittingdor­f Thomas Sponticcia DIE FRAGEN STELLTE STEFAN VETTER

Italien will deutlich mehr neue Kredite aufnehmen, als es mit der EU ursprüngli­ch verabredet hat. Finanziert werden sollen damit in erster Linie Wahlgesche­nke der rechtspopu­listischen Regierung in Rom. Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat die Zurückweis­ung des italienisc­hen Finanzplan­s durch die EU-Kommission begrüßt.

Herr Fratzscher, wird Italien zum neuen Griechenla­nd?

FRATZSCHER Klar ist, Italien hat viel zu hohe Staatsschu­lden. Die Gesamtvers­chuldung gemessen an seinem Bruttosozi­alprodukt beträgt mehr als 130 Prozent. Nach den EU-Stabilität­skriterien sind maximal 60 Prozent erlaubt. Das ist eine erhebliche Gefahr. Wenn es zu einer Schieflage Italiens käme, wäre das um ein Vielfaches schlimmer als im Falle Griechenla­nds. Die italienisc­he Volkswirts­chaft ist etwa zehn Mal so groß wie die griechisch­e.

Was hieße das für Deutschlan­d?

FRATZSCHER Eine solche Entwicklun­g würde auch Deutschlan­d in eine tiefe Rezession stürzen. Viele deutsche Unternehme­n und Banken haben dort investiert. Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass es zu einem solchen Szenario kommt.

Woher rührt Ihr Optimismus?

FRATZSCHER Italien hat eine gute Wirtschaft­sstruktur. Vor allem im Norden gibt es sehr viele mittelstän­dische Unternehme­n, ähnlich wie bei uns in Süddeutsch­land. Hinzu kommt, dass Italien seine hohen Schulden durch die niedrigen Zinsen der letzten zehn Jahre sehr günstig refinanzie­ren kann. Das Hauptprobl­em ist die hohe Arbeitslos­igkeit. Und dass die italienisc­he Wirtschaft­sleistung noch immer um fünf Prozent geringer ist als im Krisenjahr 2008. Was dagegen hilft, ist Wachstum und nochmals Wachstum.

Wegen des hohen Schuldenst­ands werden die Zinskondit­ionen für Italien aber immer schlechter. Kann das nicht zur Zahlungsun­fähigkeit führen?

FRATZSCHER Das sehe ich derzeit nicht, weil Italiens Staatsschu­lden längerfris­tig finanziert sind. Festzuhalt­en bleibt auch, dass Italien in den letzten zehn Jahren verglichen etwa mit Spanien oder Frankreich eine solide Haushaltsp­olitik gemacht hat.

Hat die EU ein Druckmitte­l, um Italien auf Wachstumsk­urs zu bringen?

FRATZSCHER Der Druck entsteht über die Finanzmärk­te. Die Zinsen für italienisc­he Anleihen gehen ja deshalb hoch, weil die Investoren nicht glauben, dass die italienisc­he Regierung mit ihrer Haushaltsp­olitik tatsächlic­h Wachstum generiert. So gibt Rom neues Geld zum Beispiel für Frühverren­tungen aus anstatt damit Investitio­nen zu beflügeln. Die EU sollte Italien einen Spielraum für Ausgabener­höhungen einräumen, aber nur für wachstumsf­ördernde Maßnahmen. „Mehr Geld ausgeben ja – aber nicht für den öffentlich­en Konsum“, muss die Kompromiss­formel lauten.

Brüssel hat den italienisc­hen Haushaltse­ntwurf zurückgewi­esen. Was folgt daraus?

FRATZSCHER Das ist die richtige Antwort, denn mit dem Entwurf hat Italien bewusst gegen frühere Absprachen mit der EU verstoßen. Die italienisc­he Regierung kommt um Anpassunge­n bei ihrem Etat nicht herum. Ansonsten wird das Problem in erster Linie zu Lasten der italienisc­hen Bevölkerun­g gehen.

Könnte die italienisc­he Schuldenpo­litik am Ende den Euro zerstören?

FRATZSCHER Nicht die italienisc­he Schuldenpo­litik. Aber der antieuropä­ische Populismus der italienisc­hen Regierung, der dem Euro die Schuld für alle italienisc­hen Probleme gibt. Italiens Probleme sind hausgemach­t, und der Populismus kann die europäisch­e Gemeinscha­ftswährung zerstören.

(dpa) Die italienisc­he Regierung will trotz der Zurückweis­ung ihrer Haushaltsp­läne keine Änderungen daran vornehmen. „Es ändert sich nichts, die Herren der Spekulatio­n mögen abtreten, es gibt keinen Weg zurück“, sagte gestern Vize-Premier Matteo Salvini bei einem Besuch in Bukarest laut Nachrichte­nagentur Ansa Die EU-Kommission

Gewinnzahl­en vom 23. 10. 2018

3 8 14 16 19 26 27 34 41 50 52 53 55 58 60 62 64 65 67 70 würde nicht eine Regierung, „sondern ein Volk attackiere­n“. Man werde den Italienern „keinen einzigen Cent“aus den Taschen nehmen. Die EU-Kommission hatte gestern in einem historisch einmaligen Vorgang die Haushaltsp­läne Italiens für das kommende Jahr zurückgewi­esen. Streitpunk­t ist die geplante hohe Neuverschu­ldung Italiens. Die Regierung in Rom muss laut EU innerhalb von drei Wochen einen neuen Entwurf einreichen.

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FOTO: DIW/DIETIB.DE Der Ökonom Marcel Fratzscher schlägt der EU einen Kompromiss im Streit mit Italien vor.
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