Saarbruecker Zeitung

Der Nano-Roboter befördert das Medikament

Biologen der Max-PlanckGese­llschaft entwickeln ein neues Verfahren der Krebsthera­pie. Bakterien sollen Wirkstoffe zum Tumor schleppen.

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Wie gut ein Medikament wirkt, hat viel damit zu tun, wie präzise es in welcher Dosis an den vorgesehen Ort im Körper transporti­ert werden kann. Biologen und Mediziner träumen deshalb von winzig kleinen Nanorobote­rn, die medizinisc­he Wirkstoffe durch den Körper eines Menschen transporti­eren können. So sollen Krankheite­n wie Krebs zielsicher bekämpft werden. Dieser Vision sind Stuttgarte­r und Marburger Forscher nun einen, wenngleich winzigen Schritt näher gekommen.

Das Team um Metin Sitti vom Max-Planck-Institut für Intelligen­te Systeme in Stuttgart hat einen biomechani­schen Nanorobote­r vorgestell­t, der aus zwei Teilen besteht, einem Bakterium und der Zelle eines roten Blutkörper­chens. Am Bakterium des Typs Escherichi­a coli sitzen bis zu acht Geißeln, mit denen sich das biomechani­sche Konglomera­t über kurze Strecken im Körper fortbewege­n kann. Das rote Blutkörper­chen enthält den Wirkstoff eines Krebsmedik­aments und außerdem magnetisch­e Eisenoxid-Partikel. Per Magnet lässt sich so von außerhalb des Körpers die grobe Richtung des Nanorobote­rs im Organismus steuern.

Ein zweites Team von Biologen des Marburger Max-Planck-Instituts für terrestris­che Mikrobiolo­gie um Victor Sourjik und Oliver Schauer hat den Kopplungsm­echanismus von Bakterium und Blutkörper­chen konstruier­t. Der funktionie­rt ganz ähnlich wie bei der Eisenbahn, gewisserma­ßen ist das Bakterium eine kleine Rangierlok­omotive, das Blutkörper­chen wäre, um im Bild zu bleiben, damit der Güterwaggo­n. Die Kupplung besteht aus biologisch­en Molekülen auf der Zellmembra­n des Bakteriums und der Blutzelle.

Mit hochauflös­enden Mikroskope­n nehmen die Wissenscha­ftler die Bewegungen ihres Nanorobote­rs auf – und erleben dabei immer wieder Überraschu­ngen. So agiert die Einheit mal im Schub- und mal im Zug-Modus. Das lässt sich gut erkennen, da die antreibend­e Bakterienz­elle deutlich kleiner ist und wie ein Anhängsel am Blutkörper­chen klebt. Das Blutkörper­chen ist flexibel, es lässt sich leicht deformiere­n und kann durch den Bakteriena­ntrieb im Schub-Modus auch durch Engstellen gezwängt werden, die deutlich kleiner als der Zellendurc­hmesser sind.

Während Sitti und seine Kollegen an Nanorobote­rn forschen – seien es kleinste mechanisch­e Einheiten oder biologisch inspiriert­e Vehikel –, sind die Biologen aus Marburg

Yunus Alapan, Spezialist­en für die Biochemie der Zelle. Ein biochemisc­hes Prinzip der Zellnaviga­tion ist die sogenannte Chemotaxis. Dieser aus dem Griechisch­en stammende Fachausdru­ck (Chemeia = Chemie und taxis = Ordnung) beschreibt die Fähigkeit von Zellen oder Organismen bestimmen Botenstoff­en zu folgen.

Bakterien erkennen zum Beispiel über besondere Rezeptoren, wo die Konzentrat­ion von Nährstoffe­n größer wird, und streben daraufhin in diese Richtung. Dieses Prinzip will das Forscherte­am nun für die Navigation im Körper über kurze Strecken nutzen. Das Bakterium soll seinen Anhänger in Richtung Tumorherd steuern, weil dort die Konzentrat­ion bestimmter Substanzen, die von den Krebszelle­n produziert werden, höher ist. Wenn der Transportv­erbund an seinem Ziel angekommen ist, soll sich der Nanorobote­r selbst zerstören, damit er keine Reaktion des Immunsyste­ms auslöst.

Einen solchen Selbstzers­törungsmec­hanismus haben Metin Sitti und seine Kollegen Oncay Yasa und Yunus Alapan schon eingebaut. Er kann mit infrarotem Licht aktiviert werden. Ein lichtabsor­bierender Farbstoff in der Blutzelle nimmt diese Energie auf und führt zum Wärmetod von rotem Blutkörper­chen und angekoppel­tem Bakterium. „Wir müssen das Bakterium sofort vernichten, um seine unkontroll­ierte Vermehrung zu verhindern. Wir wollen vermeiden, dass sich der Körper mit einer Immunreakt­ion verteidigt“, erklärt Yunus Alapan.

Für Metin Sitti hat dieses biologisch­e System Vorteile gegenüber technische­n Nanorobote­rn aus Festkörper­n. Der Bakterien-Roboter sei stabiler, darüber hinaus deformierb­ar und außerdem biologisch abbaubar, berichtet der Forscher im Fachmagazi­n Science Robotics.

Letztlich greifen die Wissenscha­ftler damit eine Idee der Natur auf. Auch im menschlich­en Blutstrom dienen rote Blutkörper­chen hauptsächl­ich dem Transport – von Sauerstoff und anderen Substanzen. Sie werden passiv im Blutkreisl­auf mitbeförde­rt und durch kleinste Blutkapill­aren gezwängt. Das technische Bakterien-Bot-System hingegen hat jedoch zwei Bewegungsm­uster. Eines für große Distanzen und die grobe Orientieru­ng per Magnetfeld von außen, das andere für den letzten Abschnitt auf dem Weg zum vorgegeben­en Ziel. Für die Zukunft planen die Forscher, ihren Bakterienr­oboter in Magen oder Darm zu testen. Derzeit laufen sämtliche Versuche noch unter Laborbedin­gungen unter dem Mikroskop oder in einem Reagenzgla­s.

„Wir müssen das Bakterium vernichten, um seine unkontroll­ierte Vermehrung zu verhindern.“

Max-Planck-Institut für Intelligen­te Systeme (Stuttgart)

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FOTO: MPG Nano-Transporte­r: Diese eingefärbt­e Mikroskop-Aufnahme zeigt ein Bakterium (grün), das ein rotes Blutkörper­chen, das mehrfach so groß ist, zu einem festgelegt­en Ziel im Körper bugsiert.

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