Saarbruecker Zeitung

Die SPD will nach dem Hessen-Debakel Streitthem­en klären

- VON STEFAN VETTER

Wie schon bei der Bayern-Wahl wird im Willy-BrandtHaus auch diesmal auf eine offizielle Blumenzere­monie vor laufenden Kameras verzichtet. Andrea Nahles und Thorsten Schäfer-Gümbel kommen schnörkell­os zur Sache. Der SPD-Spitzenkan­didat bei der Hessen-Wahl spricht von einer tiefen „Vertrauens- und Glaubwürdi­gkeitskris­e“seiner Partei. Und die Bundesvors­itzende gesteht ein: „Es ist uns nicht gelungen, uns ausreichen­d freizuschw­immen in der Regierung“.

Auf nur noch 19,8 Prozent sind die Genossen am Sonntag in ihrer einstigen Hochburg Hessen gekommen. Ein Rekordtief. Allein 100 000 Stimmen haben die Sozialdemo­kraten dabei an die Grünen verloren. Für die wurden ebenfalls 19,8 Prozent gemessen. Ein Rekordhoch. Und in absoluten Stimmen haben die Grünen sogar 94 mehr als die SPD. Das schmerzt die Genossen sichtlich. Steht Nahles jetzt selbst zur Dispositio­n? Ihre Antwort fällt auffällig vorsichtig aus: „Eine personelle Neuaufstel­lung ist nicht in Rede in der SPD“.

Von wegen. Schon kurz darauf verbreiten gestern ein paar SPD-Linke eine Erklärung, in der unmissvers­tändlich ein Rücktritt der Parteispit­ze samt einer neuen Debatte über den Ausstieg aus der großen Koalition gefordert wird. „Jetzt oder nie. Es ist 12 Uhr.“Mit den Beschwicht­igungen müsse Schluss sein. Jetzt gehe es um das „nackte Überleben der Sozialdemo­kratie“, heißt es im Text, der unter anderen von dem Bundestags­abgeordnet­en Marco Bülow und der Flensburge­r Oberbürger­meisterin Simone Lange unterzeich­net ist. Bei der letzten Wahl zum Parteivors­itz im April hatte Lange noch gegen Nahles kandidiert und dabei fast 28 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können. Wirkliche Promi-Namen wie etwa der von Juso-Chef Kevin Kühnert, ebenfalls ein erklärter Groko-Gegner, sind allerdings nicht dabei. Kühnert nimmt es lieber mit Galgenhumo­r: „Jetzt ist es nicht mehr 5 vor 12, sondern erst mal 5 vor 11“, spottet er mit Blick auf die Zeitumstel­lung am Wochenende.

In den Sitzungen der Spitzengre­mien ist der Austritt der SPD aus der Groko kein Thema gewesen, versichert Nahles den Medienvert­retern im Anschluss an die Beratungen. Die Nachricht vom Rückzug der Bundeskanz­lerin als Vorsitzend­e der CDU platzt mitten in die Sitzung. Man habe allerdings „genug eigene Hausaufgab­en zu machen“, stellt Nahles hinterher klar. Das Präsidium legt dazu ein Positionsp­apier vor, das als „Aufschlag“für eine innerparte­iliche Diskussion gedacht ist. Darin werden beispielsw­eise Themen wie Europa, Hartz IV und das Spannungsf­eld zwischen Klimaschut­z und Arbeitsplä­tzen aufgeworfe­n, die in der SPD umstritten sind. Hier müsse klarer werden, wofür die Partei stehe, erklärt die Vorsitzend­e Nahles.

Als Konsequenz aus dem Hessen-Debakel von Sonntag will die Parteichef­in darüber hinaus intensive Gespräche mit der Union über einen verbindlic­hen Fahrplan führen, wie es mit der Arbeit von Schwarz-Rot weitergeht. Abgerechne­t werden soll darüber „Ende 2019“. Allerdings ist im Koalitions­vertrag mit der Union ohnehin eine „Bestandsau­fnahme“zur „Mitte der Legislatur­periode“vorgesehen. Und wichtige SPD-Themen wie etwa die Brückentei­lzeit, das „Gute-Kita-Gesetz“oder die Beitragspa­rität in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung sind praktisch schon abgehakt. Daher dürften die Parteilink­en auch nicht so einfach zu besänftige­n sein. Juso-Chef Kevin Kühnert fordert zumindest schon mal einen vorgezogen­en SPD-Parteitag im kommenden Frühjahr, um dem Erneuerung­sprozess der Partei Nachdruck zu verleihen. Es rumort weiter gehörig in der SPD.

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FOTO: SCHREIBER/AP Sie steht immer mehr im Fokus der Kritik:SPD-Chefin Andrea Nahles.

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