Saarbruecker Zeitung

„Wir dürfen uns nicht mehr alles gefallen lassen“

Der frühere hessische SPD-Regierungs­chef stellt nach den Wahlschlap­pen die große Koalition infrage. Von seiner Partei fordert er mehr Kanten im Profil.

- DIE FRAGEN STELLTE STEFAN VETTER

Hans Eichel (76) war der letzte SPD-Ministerpr­äsident in Hessen, bevor er Bundesfina­nzminister unter Rot-Grün wurde. Und das ist jetzt auch schon 19 Jahre her. Im Gespräch mit unserer Redaktion plädiert Eichel für mehr Ecken und Kanten seiner Partei. Und er stellt die große Koalition in Frage.

Herr Eichel, als Sie 1999 abgewählt wurden, kam die SPD noch auf fast 40 Prozent der Stimmen. Jetzt sind es nur noch halb so viele. Was geht Ihnen da durch den Kopf?

EICHEL Das Wahlergebn­is ist kein hessisches, sondern eine Quittung für das Erscheinun­gsbild der gesamten SPD und die Frage, ob sie überhaupt noch klare langfristi­ge Ziele hat. Und das Ergebnis ist natürlich auch eine Quittung für das desolate Erscheinun­gsbild der großen Koalition in Berlin.

Viele Genossen sehen das Heil der SPD in einem Austritt aus der Groko. Sie auch?

EICHEL Nein. So einfach ist das nicht. Das Heil der SPD liegt darin, dass sie wieder klar und kantenscha­rf werden muss. Wenn wir nur noch bei 20 Prozent und noch weniger sind, dann geht es nicht mehr um die Frage, ob wir bestimmte Wähler verprellen, sondern darum, ob wir überhaupt noch wahrgenomm­en werden. Das bedeutet: Die SPD muss aufhören, es allen Recht machen zu wollen.

Was heißt das konkret?

EICHEL Drei Grundsätze müssen wieder ganz klar werden: Die Ausbeutung des Menschen muss beendet werden, ebenso die Ausbeutung der Natur. Und drittens müssen wir wieder glasklar Friedenspa­rtei sein. Aus diesen Grundsätze­n lässt sich aktuell alles ableiten. Zum Beispiel, dass sich die SPD ihrer Programmat­ik besinnt und tatsächlic­h offensiv für ein vereintes Europa kämpft. Und was die Ausbeutung des Menschen angeht, so muss die Debatte über die Digitalisi­erung der Arbeit zentral in der SPD geführt werden. Die Digitalisi­erung muss so gestaltet werden, dass sie Arbeitsplä­tze besser macht anstatt nur einige wenige Menschen zu Milliardär­en.

Und das alles geht auch, wenn die SPD in der Groko bleibt?

EICHEL Die SPD-Minister leisten durchweg gute Arbeit. Das wird aber alles durch den Streit zwischen CDU und CSU überdeckt. Deshalb sage ich: Es muss in dieser Woche klar werden, ob es mit Angela Merkel noch eine Regierungs­chefin gibt, die das Vertrauen ihrer Partei hat, sodass man mit ihr belastbare Verabredun­gen treffen kann. Wir dürfen uns nicht mehr alles in der großen Koalition gefallen lassen. Wir sind nicht die Arbeiter im Maschinenr­aum, und auf dem Deck streitet sich die Union. Wenn das nicht aufhört, kann die Koalition nicht weiter bestehen.

Angela Merkel will nicht mehr für den CDU-Vorsitz kandidiere­n, aber Bundeskanz­lerin bleiben. Schwächt das nicht ihre Machtposit­ion?

EICHEL Das schwächt die große Koalition. Das ist jedenfalls keine Bestandsga­rantie für das Regierungs­bündnis. Auch im Hinblick auf seine Arbeitsfäh­igkeit.

Ist denn Andrea Nahles noch die Richtige im SPD-Vorsitz?

EICHEL Andrea Nahles hat große Verdienste. Aber sie hat auch schwere Fehler gemacht. Der Fall Maaßen hätte ihr so nie passieren dürfen. Allerdings können wir nicht dauernd Personaldi­skussionen führen. Gut ist, dass sie jetzt einen konkreten Fahrplan für die weitere Regierungs­zusammenar­beit vorgestell­t hat. Daran wird sich die große Koalition in Berlin messen lassen müssen. Sonst ist sie zu Ende.

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FOTO: DEDERT/DPA Ex-Bundesfina­nzminister Hans Eichel

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