Saarbruecker Zeitung

Merkels Experiment wird nicht lange dauern

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Angela Merkel bewegt sich mit ihrem Verzicht auf eine erneute Kandidatur als CDU-Chefin im allerletzt­en Moment in Richtung Ausgang. Noch so eine Wahlnieder­lage – und davon stehen im nächsten Jahr wahrschein­lich gleich mehrere an – und man hätte sie mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt. Das hätte die heute 64-jährige nach 18 Jahren großartige­r Arbeit für die CDU nicht verdient gehabt. Man muss sich nur erinnern, in welchem Zustand sie die Partei nach der Affäre um die schwarzen Kassen Helmut Kohls (und der Hessen-Union) übernahm. Und wie sie die Union für eine moderne Gesellscha­ftspolitik geöffnet hat.

Es werden jetzt viele Parallelen zu Gerhard Schröder gezogen, der 2004 wegen seiner Agenda-Reformen ähnlich umstritten war und Kanzlersch­aft und Parteiamt gegen seinen Willen ebenfalls trennen musste. Knapp zwei Jahre später war er weg. Doch bei Schröder war immer klar, dass er auch der nächste Kanzlerkan­didat der SPD sein würde, nicht Franz Münteferin­g, der ihm vom Willy-BrandtHaus aus treu zuarbeitet­e. Merkel hingegen will nicht wieder antreten. Bei ihr ist der Rücktritt vom Parteivors­itz erklärterm­aßen der Anfang vom Ende ihrer Kanzlersch­aft. Kein Drumherumg­erede.

Durch den Rücktritt als Parteivors­itzende will Merkel der

CDU einen letzten Dienst erweisen. Erstens laufen die „Merkel muss weg“-Losungen der Rechten ab jetzt ins Leere, denn Merkel ist praktisch weg. Das kann in Ostdeutsch­land helfen. Zweitens kann die Union im Idealfall nun ruhig überlegen, wer neuer Spitzenkan­didat bei einer Bundestags­wahl werden soll. Das muss nicht der neue Unionschef sein, der nun eher im Schweinsga­lopp gefunden werden muss. Die CDU könnte sich in einem offenen Verfahren auch für einen ganz anderen, jüngeren Bewerber oder eine Bewerberin entscheide­n. Sie sollte sich jedenfalls die nötige Zeit dafür nehmen. Auch für ihre inhaltlich­e Neuorienti­erung.

Nach Merkels Schilderun­g beginnt nun ein Experiment. Es lautet: Was passiert, wenn eine Kanzlerin nicht auch Parteivors­itzende ist? Hat sie noch Macht? Oder muss sie sich vor jeder Entscheidu­ng nicht nur mit zwei verunsiche­rten Parteichef­s wie Andrea Nahles und Horst Seehofer verständig­en, die schon komplizier­t genug sind, sondern auch noch mit einem neuen Herrn im Konrad-Adenauer-Haus? Wird sie zur „lame duck“, zur lahmen Ente, wie die Amerikaner solche Regierungs­chefs nennen?

Der Tipp, dass dieses wahrschein­lich nicht besonders erquicklic­he Experiment nicht länger als ein Jahr dauern wird, ist schon deshalb heiß, weil die Koalition von Anfang an Ende 2019 eine Bilanzieru­ng ihrer Arbeit vereinbart hat. Und die SPD wird – das legen auch die Aussagen nach der Hessen-Wahl nah – spätestens diesen Zeitpunkt nutzen, um mit der Erneuerung in der Opposition zu beginnen. Wenn der neue CDUChef nicht Annegret Kramp-Karrenbaue­r oder Armin Laschet, sondern Jens Spahn oder Friedrich Merz heißen sollte, wird es sogar wesentlich schneller gehen.

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