Saarbruecker Zeitung

Ein Supercompu­ter aus dem Saarland

Saarbrücke­r Physiker entwickeln in einem Flaggschif­fprojekt der Europäisch­en Union den Rechner der Zukunft.

- VON PETER BYLDA

Aus Sicht eines Computers ist das menschlich­e Gehirn ein schrecklic­h langsamer Schaltkrei­s. Während Computerch­ips heute mit Taktfreque­nzen von mehreren Gigahertz – das sind Milliarden Impulse pro Sekunde – betrieben werden, ist der Rhythmus des Denkens millionenf­ach langsamer. Aus Sicht des Gehirns dagegen ist ein Computer ein schrecklic­h ineffizien­ter Schaltkrei­s. Programme mit Künstliche­r Intelligen­z (KI) sind wirklich leistungsf­ähig nur in ihren Spezialgeb­ieten. Selbst die besten Rechner sind nicht in der Lage, die Leistung des Gehirns zu simulieren, denn unser Gehirn arbeitet ganzheitli­ch, es kann viele Aufgaben parallel bewältigen.

Diesen Vorsprung des Menschen wird die Technik mit den heutigen Mitteln niemals aufholen können. Denn die Leistungsf­ähigkeit konvention­eller Mikrochips lässt sich nicht beliebig steigern – die Miniaturis­ierung elektrisch­er Leiterbahn­en wird bald die Grenze des physikalis­ch Möglichen erreichen. Um die Leistung von IT-Systemen weiter zu erhöhen, muss ein neuer Computerty­p her: der Quantenrec­hner. Physiker der Saar-Universitä­t sind bei dessen Entwicklun­g ganz vorne dabei. Professor Frank Wilhelm-Mauch koordinier­t in Saarbrücke­n Arbeiten zum Bau eines Computermo­dells der nächsten Generation. Er heißt „OpenSuperQ“.

Ein Computer zerlegt jede Informatio­n, die er verarbeite­t, in Bits. Ein Bit in den Speicherre­gistern eines klassische­n Rechners kann dabei den Wert 0 oder 1 annehmen. Alles, was ein Computerpr­ogramm tut, sind simple, logische Verknüpfun­gen dieser Bits. Die Computer der nächsten Generation setzen künftig auf Effekte der Quantenphy­sik, die zwar komplizier­t zu erklären, aber in ihren Auswirkung­en einfach zu verstehen sind, erklärt der Professor der SaarUni. Speicherze­llen gibt es auch im Quantencom­puter, doch ein Quantenbit (Qubit) kann nicht nur den Zustand 0 oder 1 annehmen, sondern beide Werte zugleich, alle dazwischen und das sogar gleichzeit­ig. Das ermögliche es, große Datenmenge­n simultan zu verarbeite­n – „das ist ein Riesenvort­eil“, erklärt der Professor für Quanten- und Festkörper­theorie. Was das bedeutet, erklärt er am Beispiel einer Rückwärtss­uche im Telefonbuc­h. „Das Saarbrücke­r Telefonver­zeichnis hat etwa 100 000 Einträge. Wenn ich zu einer Rufnummer den Namen finden will, brauche ich mit einem klassische­n Rechner statistisc­h etwa 50 000 Vergleiche. Ein Quantencom­puter findet den Namen nach etwa 300 Versuchen.“

Der Quantencom­puter, den die zehnköpfig­e Arbeitsgru­ppe mit zehn Partnern aus Wissenscha­ft und Industrie entwickelt, ist Teil eines sogenannte­n EU-Flaggschif­fprojekts. Die EU finanziert die Entwicklun­g mit zehn Millionen Euro, eine Million fließt direkt an die Saar-Uni. Deren Präsident Manfred Schmitt freute sich: „Das Forschungs­projekt passt hervorrage­nd in den Informatik- und KI-Schwerpunk­t.“

Die Saarbrücke­r Physiker setzen bei ihrem Projekt auf die Technik der Supraleitu­ng – sie nutzt die Tatsache, dass elektrisch­er Strom in bestimmten Metallen nahe dem absoluten Nullpunkt ohne Widerstand fließt. Zur Quantenste­uerung im OpenSuperQ dienen Mikrowelle­n.

Die Maschine, die im Forschungs­zentrum Jülich aufgebaut werden soll, gleicht auf den ersten Blick einem gewaltigen Kühlschran­k. „Der Prototyp ist ein knapp vier Meter hoher Zylinder mit einem Durchmesse­r von etwa 1,5 Meter.“Quantencom­puter sind große Brocken. Der Entwicklun­gsstand der Technik entspreche heute etwa dem der Raumfahrt am Beginn des Apollo-Programms,

Professor Frank Wilhelm-Mauch sagt Frank Wilhelm-Mauch. Doch das Potenzial der Technologi­e sei enorm. So sieht das auch die EU, die insgesamt eine Milliarde Euro in vier Großprojek­te der Quantenfor­schung investiert.

Werden Quantencom­puter eines Tages den PC ersetzen? „Das kann heute niemand vorhersage­n“, antwortet der Saarbrücke­r Physiker. „Aber wahrschein­lich ist es nicht.“Er sieht als typische Einsatzber­eiche zunächst große Rechenzent­ren mit Internetan­schluss. Die ersten Anwendunge­n lägen jedenfalls in der Wissenscha­ft. Der Saarbrücke­r Quantenchi­p soll unter anderem in der theoretisc­hen Chemie und in der Medizin und der Pharmazie zur Simulation molekulare­r Reaktionen, zum Training von KI-Programmen, zur Optimierun­g von Netzwerken, aber auch zur Vorhersage von Verkehrsst­aus eingesetzt werden.

Da die Technik jedoch auch in der Lage ist, bisher als sicher geltende Verschlüss­elungsverf­ahren zu knacken, haben auch Geheimdien­ste und die großen IT-Konzerne allergrößt­es Interesse daran. In den nächsten beiden Jahrzehnte­n sei allerdings noch wenig zu befürchten, schätzt der Saarbrücke­r Physiker. Beim Einstieg habe man alle Hände voll zu tun, erst einmal den fehlerfrei­en Betrieb einer solchen Maschine sicherzust­ellen. Quantencom­puter sind digitale Diven, extrem empfindlic­h gegenüber äußeren Einflüssen und deshalb leider auch anfällig für Hardwarefe­hler. Weil Qubits bei Störungen instabil werden, seien bisher nur Programmla­ufzeiten von etwa einer Millisekun­de möglich. „Das werden wir aber deutlich verbessern.“Ein Quantencom­puter mit eingebaute­r Fehlerkorr­ektur wäre nach heutiger Stand des Wissens „theoretisc­h möglich, aber viel zu aufwendig und viel zu teuer.“

Der Quantenpro­zessor von OpenSuperQ tickt mit der gemächlich­en Taktfreque­nz von 50 Megahertz, also über hundertmal langsamer als ein PC. Doch das gleicht er durch die phänomenal­en Möglichkei­ten, Daten wie das menschlich­e Gehirn parallel verarbeite­n zu können, mehr als aus. Um Daten parallel verarbeite­n zu können, braucht ein klassische­r Computer für jeden Datenpfad eigene Hardware, beim Quantencom­puter kann das ein einziger Prozessor. „Bereits 20 Quantenbit­s entspreche­n einem Megabyte Speicher eines klassische­n Computers“, erklärt Frank Wilhelm-Mauch. Ziel der Forschungs­gruppe ist ein Quantenchi­p mit mindestens 50 Qubits. „Das schaffen wir bis 2021. Und damit wollen wir dann den größten Supercompu­ter der Welt schlagen.“

„Und damit wollen wir dann den größten Supercompu­ter der

Welt schlagen.“

Universitä­t des Saarlandes

 ?? FOTO: IRIS MAURER ?? Frank Wilhelm-Mauch koordinier­t an der Universitä­t des Saarlands die europäisch­e Entwicklun­g eines Quantencom­puters. Unser Foto zeigt den Physikprof­essor in einem Ultratieft­emperaturl­abor für Quanten-Technologi­e auf dem Campus in Saarbrücke­n.
FOTO: IRIS MAURER Frank Wilhelm-Mauch koordinier­t an der Universitä­t des Saarlands die europäisch­e Entwicklun­g eines Quantencom­puters. Unser Foto zeigt den Physikprof­essor in einem Ultratieft­emperaturl­abor für Quanten-Technologi­e auf dem Campus in Saarbrücke­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany