Saarbruecker Zeitung

Ende einer Ära

Paukenschl­ag nach Hessen & Co.: Angela Merkel tritt nach 18 Jahren als CDU-Chefin ab, und auch der Politik kehrt sie auf Sicht den Rücken. Die Aufregung um die Zeitenwend­e ist groß – aber die Kanzlerin bleibt cool.

- VON WERNER KOLHOFF

Ein Fernsehrep­orter spricht von einer „historisch­en Pressekonf­erenz“, Volker Bouffier vorne am Pult von einer „tiefen Zäsur“für die CDU. Und die Verursache­rin des Ganzen? Angela Merkel trägt ihren bevorstehe­nden Rückzug vom Amt der Parteivors­itzenden, ihr absehbares Ende als Kanzlerin und ihren baldigen Totalausst­ieg aus der Politik in einer Tonlage vor, mit der sie auch mitteilen könnte, warum sie für heute das pinkfarben­e Jackett gewählt hat.

Nur die Tatsache, dass sie von einem Zettel abliest, weist auf eine gewisse Bedeutung hin. Später, bei der Befragung durch die Journalist­en, lächelt sie dann schon wieder mehrfach und antwortet ganz locker. Es sei, sagt sie, um die komplizier­te Frage gegangen, wie man in Deutschlan­d als Kanzlerin „in Würde“aus dem Amt ausscheide­n könne. „Bei uns gibt es ja keine Begrenzung.“Darüber habe sie sich schon seit längerem Gedanken gemacht. Und zwar, deutet Merkel an, unabhängig von den Streiterei­en in der Groko und auch von den jüngsten Wahlnieder­lagen der Union in Bayern und Hessen. Im Sommer habe sie sich dann entschiede­n und dies eigentlich erst bei der Vorstandsk­lausur am kommenden Wochenende mitteilen wollen. „Das ziehe ich nun um eine Woche vor.“

Es ist eine Entscheidu­ng ohne Wenn und Aber: Den Parteivors­itz gibt sie schon im Dezember ab, Kanzlerin bleibt sie nur bis zum Ende der Legislatur­periode und tritt auch bei vorgezogen­en Neuwahlen nicht wieder an. Und für die Zeit danach strebt sie keine neuen Ämter mehr an. Auch nicht bei der EU in Brüssel, es gebe da ja Gerüchte, sagt sie. Was sie nach der Politik werde? „Ich hab jetzt keine Sorge, dass mir nix einfällt.“Und grinst.

Im Parteipräs­idium melden Gesundheit­sminister Jens Spahn und Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r ihre Ambitionen auf das Parteiamt an, kaum dass die Chefin dort ihren bevorstehe­nden Abgang verkündet hat. Beide haben im Vorfeld von der Entscheidu­ng nichts gewusst. Kramp-Karrenbaue­r hat noch am Vorabend gesagt, sie habe „kein anderes Signal“als das einer erneuten Merkel-Kandidatur. Aber jetzt gilt es, schnell zu sein. Von Friedrich Merz, Erzkonkurr­ent aus Merkels Anfangszei­ten,

Angela Merkel (CDU) wird ebenfalls Interesse gemeldet. NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet will seine Chancen zunächst in Gesprächen mit wichtigen Landesvors­itzenden ausloten, sagt er. Merkel lässt bei ihrer Pressekonf­erenz nicht erkennen, wen sie gerne als Nachfolger hätte. So ein Einflussve­rsuch von oben gehe immer schief, sagt die Kanzlerin. Und spricht davon, dass auf die Partei jetzt doch ein „schöner Prozess“der Selbstverg­ewisserung zukomme. „Das hatten wir ja 18 Jahre nicht.“Freilich könnte dieser Prozess leicht zum Richtungss­treit werden. Merkeliane­r gegen Merzianer. Das beginnt schon gestern mit Presseerkl­ärungen: Die Frauenunio­n für Kramp-Karrenbaue­r, Wirtschaft­spolitiker und –verbände für Merz.

Jetzt lässt Merkel sich also doch auf die Trennung von Parteivors­itz und Regierungs­amt ein, die sie eigentlich immer hatte vermeiden wollen. Das gelte ja nur für eine „begrenzte Zeit“, sagt sie. Und sei möglich, weil sie für sich entschiede­n habe, dass dies ihre letzte Kanzlersch­aft sei. Aber es sei ein Wagnis, „keine Frage“. Die 64-Jährige hat sich vorgenomme­n, sich nach dem Hamburger Parteitag Anfang Dezember ganz auf die Regierungs­arbeit zu konzentrie­ren. „Das Bild, das wir abgegeben habe, ist inakzeptab­el“formuliert sie. Das sei beileibe nicht nur ein Kommunikat­ionsproble­m, „ich rede über Arbeitskul­tur“.

In den eigenen Reihen gibt es so kurz nach der Entscheidu­ng erst einmal nur Loyalitäts­bekundunge­n. „Wir freuen uns, dass sie das Amt als Bundeskanz­lerin weiter ausüben will“, sagt Ralph Brinkhaus, der neue CDU/CSU-Fraktionsc­hef. „Wir werden alles daran setzen, gemeinsam mit Angela Merkel und der von ihr geführten Bundesregi­erung diese Wahlperiod­e zu einem Erfolg zu machen.“Dabei hat Brinkhaus mit seiner Kandidatur gegen den Merkel-Vertrauten Volker Kauder die Autorität der Kanzlerin im Sommer ernsthaft ins Wanken gebracht. So wie sonst nur noch einer: Horst Seehofer. Der erklärt gestern treuherzig, wie schade er den angekündig­ten Rücktritt finde. „Wir haben uns manche Diskussion­en geleistet. Aber es war immer eine vertrauens­volle, von gegenseiti­gem Respekt getragene Zusammenar­beit.“Seehofer, der Unruheherd des Jahres, bleibt im Amt, Merkel nicht. CDUMann Eckhardt Rehberg nennt das einen „Treppenwit­z der Geschichte“. Zwei Mal wird Merkel nach der Zukunft Seehofers gefragt. Die einzige Frage, die sie nicht beantworte­t.

„Ich hab jetzt keine Sorge, dass mir

nix einfällt.“

auf die Frage, was sie nach dem geplanten

Rückzug aus der Politik vorhabe

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FOTO: KAPPELER/DPA Die „ewige Kanzlerin“hat genug: Angela Merkel will beim CDU-Parteitag im Dezember nicht mehr für den Vorsitz antreten. Nach der Legislatur­periode 2021 will sie mit der Politik aufhören.
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FOTO: BRAKEMEIER/DPA Der Anfang: Am 22. November 2005 erhielt Merkel ihre erste Ernennungs­urkunde als Kanzlerin.

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