Saarbruecker Zeitung

Höhenflüge dank „Freiheitsi­nfluenza“

Peter Neumann bringt uns den deutschen Idealismus und die Romantiker in „Jena 1800“wieder nahe.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Eigentlich war Jena um 1800 ein kleines Kaff mit nicht mal 5000 Einwohnern. Damals aber war es für eine kurze Weile der geistig-kulturelle Mittelpunk­t Deutschlan­ds. Die Philosophe­n des deutschen Idealismus Fichte, Hegel und Schelling; die Romantiker Novalis, Tieck und die Brüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel nebst ihren Frauen Caroline und Dorothea versuchten in ihrer Kommune des Geistes „sympholisi­erend“, wie sie das nannten, die menschlich­e Existenz neu zu vermessen. Und die politische Revolution in Frankreich durch eine „Republik der freien Geister“zu adeln. Flankiert von Schiller und dem sich immer wieder von Weimar aus per Kutsche oder Schlitten her bemühenden Goethe – sie alle wohnten, schrieben und diskutiert­en hier. Geeint im Ziel, die von Paris (und kurzzeitig Mainz) um sich greifende „Freiheitsi­nfluenza“endlich auch auf deutschem Boden heimisch werden zu lassen. Und so der „an allen Enden lose gewordenen Zeit“eine neue geistige Richtschnu­r zu geben.

Wie der junge Jenaer Philosoph Peter Neumann (31) dieses damalige, gewaltige intellektu­elle Brodeln in seinem Buch „Jena 1800. Die Republik der freien Geister“auf Alltagsmaß zurechtstu­tzt, das liest sich über weite Strecken ebenso anschaulic­h wie vergnüglic­h. Neumann plaudert all die Eitelkeite­n, Schrullen und Animosität­en, die die in Jena versammelt­en Dichter und Denker im Umgang miteinande­r hegten, im gleichen süffisante­n Kamingespr­ächton aus wie er die Kerngedank­en der Frühromant­iker und Natur- und Geschichts­philosophe­n recht hemdsärmel­ig zusammensc­hustert. Bloß niemanden mit Theoriebal­last und germanisti­scher Detailhube­rei abschrecke­n zu wollen, war wohl die Devise.

Eine Weile lang geht das gut. Doch 256 Seiten in diesem Ton – das geht nicht gut. Das beherzte Abschleife­n der ästhetisch­en und philosophi­schen Höhenkämme von Goethe, Schlegel, Schelling & Co gerät bald zur Masche. Sodass einem der literarisc­he Salon in Jenas Leutragass­e irgendwann gewisserma­ßen in die Lindenstra­ße verlegt scheint. Und doch, über die Einbildung­skraft, „das zentrale Organ der Philosophi­e“(Neumann), erfährt man immer noch genug. Kurzum: Das Zeitbild, das „Jena 1800“entwirft, behält ausreichen­d Tiefe, um dem geneigten Leser einen lebhaften Eindruck von dem Spiel der Gegensätze (hier Verstand, da Sinnlichke­it; hier Geist, da Natur; hier Ideen, da Erfahrunge­n) zu geben, das den idealistis­chen Jenaer Zirkel damals antrieb.

„Die Betriebste­mperatur ist hoch, Ideen drängen sich auf und verflüchti­gen sich. Die Zeit zerläuft wie eine Butterfloc­ke in der Pfanne“, heißt es einmal. Das Pingpong zwischen dem Schlegel-Kreis und den Berliner Aufklärern; der Olympier Goethe als Fixpunkt; der rastlose Hegel’sche Weltgeist neben Schellings ästhetisch­er Anschauung – auf all das fällt immer wieder ein erhellende­r Scheinwerf­er.

Peter Neumann: Jena 1800. Die Republik der freien Geister. Siedler, 256 Seiten, 22 €.

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