Höhenflüge dank „Freiheitsinfluenza“
Peter Neumann bringt uns den deutschen Idealismus und die Romantiker in „Jena 1800“wieder nahe.
Eigentlich war Jena um 1800 ein kleines Kaff mit nicht mal 5000 Einwohnern. Damals aber war es für eine kurze Weile der geistig-kulturelle Mittelpunkt Deutschlands. Die Philosophen des deutschen Idealismus Fichte, Hegel und Schelling; die Romantiker Novalis, Tieck und die Brüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel nebst ihren Frauen Caroline und Dorothea versuchten in ihrer Kommune des Geistes „sympholisierend“, wie sie das nannten, die menschliche Existenz neu zu vermessen. Und die politische Revolution in Frankreich durch eine „Republik der freien Geister“zu adeln. Flankiert von Schiller und dem sich immer wieder von Weimar aus per Kutsche oder Schlitten her bemühenden Goethe – sie alle wohnten, schrieben und diskutierten hier. Geeint im Ziel, die von Paris (und kurzzeitig Mainz) um sich greifende „Freiheitsinfluenza“endlich auch auf deutschem Boden heimisch werden zu lassen. Und so der „an allen Enden lose gewordenen Zeit“eine neue geistige Richtschnur zu geben.
Wie der junge Jenaer Philosoph Peter Neumann (31) dieses damalige, gewaltige intellektuelle Brodeln in seinem Buch „Jena 1800. Die Republik der freien Geister“auf Alltagsmaß zurechtstutzt, das liest sich über weite Strecken ebenso anschaulich wie vergnüglich. Neumann plaudert all die Eitelkeiten, Schrullen und Animositäten, die die in Jena versammelten Dichter und Denker im Umgang miteinander hegten, im gleichen süffisanten Kamingesprächton aus wie er die Kerngedanken der Frühromantiker und Natur- und Geschichtsphilosophen recht hemdsärmelig zusammenschustert. Bloß niemanden mit Theorieballast und germanistischer Detailhuberei abschrecken zu wollen, war wohl die Devise.
Eine Weile lang geht das gut. Doch 256 Seiten in diesem Ton – das geht nicht gut. Das beherzte Abschleifen der ästhetischen und philosophischen Höhenkämme von Goethe, Schlegel, Schelling & Co gerät bald zur Masche. Sodass einem der literarische Salon in Jenas Leutragasse irgendwann gewissermaßen in die Lindenstraße verlegt scheint. Und doch, über die Einbildungskraft, „das zentrale Organ der Philosophie“(Neumann), erfährt man immer noch genug. Kurzum: Das Zeitbild, das „Jena 1800“entwirft, behält ausreichend Tiefe, um dem geneigten Leser einen lebhaften Eindruck von dem Spiel der Gegensätze (hier Verstand, da Sinnlichkeit; hier Geist, da Natur; hier Ideen, da Erfahrungen) zu geben, das den idealistischen Jenaer Zirkel damals antrieb.
„Die Betriebstemperatur ist hoch, Ideen drängen sich auf und verflüchtigen sich. Die Zeit zerläuft wie eine Butterflocke in der Pfanne“, heißt es einmal. Das Pingpong zwischen dem Schlegel-Kreis und den Berliner Aufklärern; der Olympier Goethe als Fixpunkt; der rastlose Hegel’sche Weltgeist neben Schellings ästhetischer Anschauung – auf all das fällt immer wieder ein erhellender Scheinwerfer.
Peter Neumann: Jena 1800. Die Republik der freien Geister. Siedler, 256 Seiten, 22 €.