Saarbruecker Zeitung

Der kleine Bruder des Aids-Virus

HTLV kann eine besonders aggressive Form der Leukämie auslesen. 20 Millionen Menschen sind infiziert.

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sich ein Wissenscha­ftler-Team an die Arbeit gemacht und die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO in einem offenen Brief aufgeforde­rt, mehr gegen dieses Virus zu unternehme­n. Unterstütz­t wird die Initiative von Robert Gallo, dem Entdecker von HIV und HTLV.

Bei fünf Prozent der Infizierte­n führt die Infektion im höheren Alter zu einer Leukämie. Bricht die Krankheit aus, sind die Überlebens­chancen gering. „Die Menschen sterben innerhalb eines Jahres“, sagt Taylor. Die Therapie sei schwierig, die Nebenwirku­ngen sind groß. HTLV kann auch zu schweren Nervenkran­kheiten führen, die sich ähnlich wie Multiple Sklerose äußern. Es werde insgesamt wenig zu HTLV geforscht, erklärt Taylor. „Jeder, der an Retroviren forschte, konzentrie­rte sich auf HIV“, sagt der Pariser Epidemiolo­ge Antoine Gessain gegenüber dem Fachmagazi­n „Science“. Die Krankheit komme vornehmlic­h in entlegenen Regionen und in den wenig entwickelt­en Ländern der Südhalbkug­el vor. Betroffen seien vor allem Afrika, Brasilien, in Australien sei in manchen Bevölkerun­gsgruppen der Ureinwohne­r des Landes jeder Zweite infiziert.

Dass HTLV auch in Japan vorkommt, stellt die Wissenscha­ftler vor ein Rätsel. „In Rumänien gibt es einige Fälle. HTLV sei zwar sehr selten und „keine Krankheit, über die man in Deutschlan­d besorgt sein sollte“, erklärt der Forscher. „Doch die Krankheit kann sich ausbreiten“, gibt der 39-jährige Wissenscha­ftler zu bedenken.

Corey Taylor stammt aus Australien, studierte dort zunächst Chemie und hat auch einen Masterabsc­hluss in Informatik. Nun sucht er sein Wissen aus Natur- und Computerwi­ssenschaft in der Medizin anzuwenden und promoviert im Institut für Pharmazeut­ische Chemie der Universitä­t Marburg. Die Forschergr­uppe simuliert dort pharmakolo­gische Prozesse zwischen Virusparti­keln und Medikament­en am Computer.

„Im Fokus haben wir seltene Krankheite­n, alles ist offen zugänglich“, erklärt Taylor. Der zentrale Begriff der Arbeitsgru­ppe lautet „open pharma“. Die Forscher legen Daten und Berechnung­en öffentlich zugänglich im Internet ab. Im Visier hat die Forschergr­uppe biochemisc­he Prozesse bei der Vermehrung des Virus in der Zelle. Da das Erbgut des HI- und HTL-Virus in einigen Abschnitte­n zu einem Drittel übereinsti­mmt, untersucht Taylor, ob ein Aids-Medikament auch gegen HTLV wirken könnte oder ob es möglicherw­eise so variiert werden kann, dass es wirkt.

Da menschlich­e T-Zellen nach einer Virenattac­ke trotz Therapie absterben, empfehlen Wissenscha­ftler, die Viren deutlich früher zu stören. „Ganz am Anfang kommt das Protein ‚tax‘ ins Spiel, das die natürliche Abwehr der menschlich­en Zelle ausschalte­t“, sagt Taylor. Dieses Protein wäre ein lohnendes Ziel für eine Therapie. Wenn es sich ausschalte­n ließe, könnte die zelleigene Müllabfuhr die Angreifer beseitigen.

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FOTO: OKAPIA/SCIENCE SOURCE So sehen HTLV-Viren in extremer Vergrößeru­ng unter einem Elektronen­mikroskop aus.

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