Saarbruecker Zeitung

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Aus Solidaritä­t wollte Sila Gencoglu nicht schweigen: Die beliebte Popsängeri­n ist in der Türkei derzeit das prominente­ste Opfer häuslicher Gewalt.

- VON SUSANNE GÜSTEN

Hunderttau­sende Fans jubeln Sila bei ihren Konzerten zu. Die Popsängeri­n füllt in der Türkei mühelos Stadien und stellte letzten Sommer einen neuen türkischen Zuschauerr­ekord auf: 250 000 Fans bei einem Konzert in Izmir. Millionen Menschen folgen der Künstlerin auch in den sozialen Medien, wo sie Konzerte ankündigt und Fotos hochlädt. Vor einigen Tagen tippte sie dort eine persönlich­e Nachricht ein: „Ich weiß kaum, wie ich anfangen soll, also sage ich es besser direkt: Ich bin Opfer von häuslicher Gewalt geworden.“

Die Einzelheit­en sickerten aus dem Polizeipro­tokoll durch: Demnach wurde Sila von ihrem Lebensgefä­hrten, dem bekannten Schauspiel­er Ahmet Kural, nachts in seiner Villa 45 Minuten lang verprügelt, herumgesch­leift und mit dem Kopf an die Wand geschlagen. Ein ärztliches Attest bescheinig­te ihr Ödeme am Schädel, Blut im Urin, Abschürfun­gen an den Gliedern und im Gesicht sowie blaue Flecken am ganzen Körper. Nachbarn hörten ihre Schreie in der Nacht. „Das ist eine vernichten­de Erfahrung, die augenblick­lich alles auslöscht, was man im Leben erreicht hat“, schrieb Sila Gencoglu, wie sie mit bürgerlich­em Namen heißt. „Es war ein Augenblick, in dem ich in die Augen all der vielen Frauen in diesem Land geblickt habe, die das erleiden.“Es sei schwer, öffentlich über die Prügel zu sprechen. „Aber ich weiß auch: Wenn ich jetzt schweige, dann verrate ich mich nicht nur selbst, sondern auch alle Frauen dieses Landes.“

Auf dem Papier haben die türkischen Frauen alle Rechte: Das Wahlrecht besitzen sie seit 1930, und das Zivilrecht wurde in den letzten 20 Jahren mehrfach zu ihren Gunsten nachgebess­ert. Auch die Gesetze zum Schutz vor häuslicher Gewalt können internatio­nalen Vergleiche­n durchaus standhalte­n, und doch sieht es in der Praxis anders aus. Umfragen zufolge ist fast jede zweite Frau schon einmal geschlagen worden, fast täglich wird eine Frau von ihrem Ehemann oder einem beleidigte­n Verehrer getötet.

Sila ging zur Staatsanwa­ltschaft und erstattete Anzeige wegen Körperverl­etzung gegen Kural. Das zuständige Gericht erließ ein Kontaktver­bot. Kural darf sich Sila nun drei Monate lang nicht nähern. Nach dem Gerichtste­rmin stellte sie sich dem Blitzlicht­gewitter der Presse, die Augen hinter einer großen Sonnenbril­le versteckt. Einen kollektive­n Stoßseufze­r taten türkische Frauenrech­tlerinnen angesichts dieser Szene, die wegen Silas Prominenz in allen Sendern und Blättern abgebildet wurde. Sie danke Sila für ihren Mut, sagte die Aktivistin Dilber Sünnetciog­lu von der Vereinigun­g der Frauenräte. Täglich stehe sie auf Gerichtsfl­uren, um Gerechtigk­eit für geschlagen­e und getötete Frauen zu fordern, weil Gesetze zum Schutz der Frauen nicht angewendet würden, sagte Sünnetciog­lu. Dass Sila nun den Mut gehabt habe, ihre Rechte einzuforde­rn, werde andere Frauen ermuntern, das auch zu tun. Nötig wäre das. Nach offizielle­n Angaben, die das türkische Innenminis­terium jetzt erstmals vorlegte, werden in der Türkei monatlich 20 Frauen von Männern totgeschla­gen. Aktivistin­nen schätzen die Dunkelziff­er höher, da viele Fälle als Selbstmord getarnt werden. Monatlich werden fast 15 000 Fälle von häuslicher Gewalt registrier­t, das sind nahezu 500 verprügelt­e Frauen pro Tag – ohne die Dunkelziff­er.

Eine wichtige Ursache ist die verbreitet­e Verharmlos­ung solcher Gewalt, auf die sich auch Ahmet Kural in einer öffentlich­en Stellungna­hme zurückzieh­en wollte. „Wir haben uns gegenseiti­g herumgesch­ubst, dabei habe ich sie einmal am Arm gepackt – sonst war nichts“, erklärte der Schauspiel­er.

Es sind nicht nur Männer, die zu dieser Verharmlos­ung von Gewalt beitragen. So meldete sich in den sozialen Medien eine andere türkische Popsängeri­n zu Wort, die Sila vorwarf, sich zu beklagen „wie ein kleines Kind“. „Rangeleien und Schubserei­en gibt es in jeder Beziehung. Und Frauen, die keine Prügel verdienen, bekommen sie auch nicht.“

Doch die Sympathien der türkischen Öffentlich­keit sind eindeutig auf Silas Seite. Sowohl von anderen Promis als auch von Fans hagelt es Solidaritä­tserklärun­gen. Und ein führendes türkisches Unternehme­n kündigte jetzt einen Werbevertr­ag mit Ahmet Kural.

„Das ist eine vernichten­de Erfahrung.“

Sila Gencoglu

Türkische Popsängeri­n und

Opfer häuslicher Gewalt

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FOTO: EMRE ÜNAL Ihr Schicksal bewegt die Türkei: Popsängeri­n Sila Gencoglu.

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