Saarbruecker Zeitung

Rot-grüne Erinnerung an versunkene Zeiten

20 Jahre nach Beginn des gemeinsame­n „Projektes“treffen sich ehemalige und aktuelle Spitzenpol­itiker beider Parteien zu einer launigen Diskussion.

- VON STEFAN VETTER Produktion dieser Seite: Frauke Scholl, Robby Lorenz Gerrit Dauelsberg, Dimitri Taube

Walter Riester und Hans Eichel sind gekommen. Genauso wie Heidemarie Wieczorek-Zeul, Ulla Schmidt und Edelgard Bulmahn. Die ehemaligen Bundesmini­ster sitzen vorn im proppenvol­len Saal der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Der Stargast aber ist Gerhard Schröder. Der Altkanzler, inzwischen 74, wirkt tiefenents­pannt. Er hat seine neue Ehefrau Kim mitgebrach­t. Beide sitzen in der ersten Reihe neben Andrea Nahles. Die Szene mutet wie ein sozialdemo­kratisches Klassentre­ffen an. Wie das Gedenken an eine versunkene Zeit, als die SPD noch allen Stolz vor sich hertrug – und Bundestags­wahlen gewann.

Vor fast genau 20 Jahren kam Schröder ins Kanzleramt. Sagenhafte 40,9 Prozent fuhr die SPD im Herbst 1998 ein. Vom „rot-grünen Projekt“war die Rede. Was ist davon geblieben? Darüber diskutiert Schröder zum Auftakt mit Jürgen Trittin, dem damaligen Bundesumwe­ltminister, der an diesem Montagaben­d für die Grünen auf dem Podium sitzt. Beide haben sich in den gemeinsame­n Regierungs­jahren nichts geschenkt, aber jetzt sehen sie das recht locker. „Er hat einen ewig geärgert, aber er war verlässlic­h“, sagt Schröder über Trittin. Und er glaubt, dass die Grünen eigentlich nur „notgedrung­en“in Koalitione­n gegangen seien, denn sie seien damals viel radikaler gewesen als jetzt. Worauf Trittin seinem Gegenüber süffisant vorhält, eigentlich eine große Koalition mit der Union gewollt zu haben.

Schröder hatte damals gesagt, in der gemeinsame­n Regierung müsse klar sein, dass die Sozialdemo­kraten der Koch seien und die Grünen der Kellner. Diese Rollenvert­eilung schmeckt Trittin auch heute noch nicht: „Kochen konnten wir, servieren auch“, meinte er. Tatsächlic­h kamen die Grünen damals aber nur auf 6,7 Prozent. Da mochte das Bild vom SPD-Koch stimmig gewesen sein. Inzwischen habe sich das aber völlig geändert, räumt der Altkanzler ein. Und dann gibt er noch ein paar Tipps für gutes sozialdemo­kratisches Regieren. Man habe „nicht grüner“sein wollen als die Grünen und stattdesse­n mit der Union um die Wirtschaft­skompetenz konkurrier­t. Das war „ein Erfolgsrez­ept“. Außerdem dürfe man sich die Agenda 2010 nicht „wie Bleigewich­te“ an die eigenen Füße hängen. Das sei „ein zentraler Fehler“. Und überhaupt müsse man den Willen zur Macht haben. Da sehe er doch „gewisse Defizite“im Vergleich zu früher, stichelt Schröder.

Andrea Nahles, die aktuelle SPD-Chefin, quittiert es mit süß-saurer Miene. Aber auch sie kommt in der Diskussion über RotGrün ins Schwärmen. „So was würde ich noch mal gern erleben.“Die Vorsitzend­e hadert ebenfalls mit ihrer Partei. Dort gebe es schon eine „komische Neigung, nach hinten zu gucken“, sagt Nahles.

Wie zum Trost bleiben aber immer noch „große Schnittmen­gen“zwischen Rot und Grün. Darauf verweist die grüne Co-Chefin Annalena Baerbock. Beim Thema Kinderarmu­t käme man schnell unter einen Hut. Auch friedens- und europapoli­tisch ist man nah beieinande­r. SPD und Grüne seien „die beiden europäisch­sten Parteien“, wirft Nahles ein. Dumm nur, dass eine rechnerisc­he Mehrheit für Rot-Grün längst abhandenge­kommen ist.

Einer der gut 650 Zuhörer im Publikum glaubt ein Patentreze­pt für den Wiederaufs­chwung der SPD zu haben: Gerhard Schröder brauche bloß an die Parteispit­ze zurückzuke­hren. Der grinst und winkt dann ab: „Also ich kann das kurz beantworte­n: Ich finde keinen Ortsverein der SPD, der mich vorschlägt.“

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FOTO: NIETFELD/DPA Schwelgten in Erinnerung­en: Altkanzler Gerhard Schröder (li.) und Ex-Minister Jürgen Trittin.

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