Saarbruecker Zeitung

London will keinen „Limbo-Brexit“riskieren

Die EU will die Briten in der Zollunion halten, bis die Frage der irischen Grenze geklärt ist. Die Brexit-Fans laufen dagegen Sturm.

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Derzeit versprühen etliche Politiker im Königreich geradezu ungewöhnli­chen Optimismus, wenn es um die zuletzt festgefahr­enen Brexit-Verhandlun­gen geht. Ein Austrittsa­bkommen zwischen Großbritan­nien und der EU stünde unmittelba­r bevor und in der irischen Grenzfrage sei eine Lösung gefunden worden, hieß es etwa am Wochenende. Gestern kam Brexit-Minister Dominic Raab aus einer Kabinettss­itzung und befand vor Journalist­en: „Daumen hoch!“Dabei sieht die Realität, zumindest in der öffentlich­en Wahrnehmun­g, kaum besser aus als vor wenigen Wochen, als der EU-Gipfel ohne Deal zu Ende ging. Es gebe noch keine Einigung, wie die Grenze zwischen der Republik Irland und dem zum Königreich gehörenden Nordirland offen gehalten werden kann, um dort den Frieden nicht zu gefährden, stellte denn auch Brüssels Chefunterh­ändler Michel Barnier klar.

Aber wie zur Beruhigung sagte er auch, dass es das Ziel bleibe, in den nächsten Wochen den Vertrag über einen geordneten Ausstieg aus der Gemeinscha­ft abzuschlie­ßen. Nur wann? Ende März scheidet das Königreich aus der EU aus, die Zeit wird knapp. Medienanga­ben zufolge will Premiermin­isterin Theresa May noch im November ein Abkommen erzielen. Doch der größte Streitpunk­t ist seit Monaten derselbe: Wie können Kontrollen an der Außengrenz­e auf der irischen Insel unter allen Umständen vermieden werden? Die EU fordert eine Garantie. Und wünscht eine Rückfallve­rsicherung, den sogenannte­n Backstop, nach dem das Königreich im Notfall in der Zollunion bleiben würde, bis eine langfristi­ge Lösung im Rahmen der Verhandlun­gen über die künftigen Beziehunge­n zwischen Brüssel und London gefunden ist. Nur, die Briten wehren sich gegen die Idee, dass solch eine Notfallreg­elung ohne zeitliche Begrenzung auskommen soll.

Insbesonde­re Brexit-Minister Raab meldet sich dieser Tage regelmäßig in harschem Ton zu Wort und befriedigt damit die Europa-skeptische­n Hardliner auf der Insel, die vor dem Risiko warnen, dass Großbritan­nien durch die Zollunion auf unbestimmt­e Zeit „in einem Limbo-Brexit“gefangen sein könnte. London sollte das Recht eingeräumt werden, den Backstop sogar schon nach drei bis sechs Monaten aufkündige­n zu können, fordert Raab laut der Zeitung „The Telegraph“. Aber aus Brüssel kommt stets dieselbe Antwort: Die Rückfallve­rsicherung könne per Definition nicht zeitbegren­zt sein. Und auch nicht einseitig kündbar. Das machte etwa Irlands Premiermin­ister Leo Varadkar diese Woche abermals während eines Telefonats mit May deutlich. Auf der britischen Seite müsse eine Entscheidu­ng getroffen werden, um einen Deal festzuzurr­en, sagte Barnier gestern und verwies so auf die Streitigke­iten in der konservati­ven Partei.

Die Diskussion um den Backstop zeigt nämlich wieder einmal den Zwist, der innerhalb des britischen Kabinetts herrscht. Gestern wollte es erneut zusammenko­mmen, um die auf dem Tisch liegenden Vorschläge zu beraten. Eine weitere Frage, die immer lauter gestellt wird, lautet jedoch: Welches Ziel verfolgt Dominic Raab, der Zögling seines EU-skeptische­n Amtsvorgän­gers David Davis? Der smart wirkende, ehrgeizige Politiker wird von vielen Beobachter­n als Nachfolger von Premiermin­isterin May gehandelt. Nicht nur, dass der 44-Jährige der neuen Generation bei den Konservati­ven angehört. Er ist auch ein überzeugte­r Brexit-Anhänger und damit für viele Parteimitg­lieder perfekt geeignet für den Einzug in die Downing Street. Lediglich am öffentlich­en Profil muss Dominic Raab noch arbeiten. Trotz vieler Jahre in der Regierung und Ämtern als Staatssekr­etär galt er bis zu seiner Ernennung zum Brexit-Minister im Juli noch als wenig bekannt. Mit seinem Konfrontat­ionskurs zu May dürfte sich das radikal ändern.

Brexit-Minister Raab verfolgt einen Anti-May-Kurs.

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