Saarbruecker Zeitung

Ehemaliger SS-Wachmann weint vor Gericht

Die Anklage wirft dem 94-Jährigen zum Prozessauf­takt in Münster hundertfac­he Beihilfe zum Mord vor.

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(dpa) Mit emotionale­r Regung des Angeklagte­n hat vor dem Landgerich­t Münster gestern ein Prozess um hundertfac­he Beihilfe zum Mord im Konzentrat­ionslager Stutthof begonnen. Bei der Verlesung der Anklage wirkte der 94-jährige ehemalige SS-Wachmann äußerlich zunächst noch gefasst. Als die Anwälte der Nebenkläge­r dann aber mehrere persönlich­e Erklärunge­n von Holocaust-Überlebend­en vorlasen, flossen bei dem Deutschen aus dem Kreis Borken im westlichen Münsterlan­d die Tränen.

Zum Auftakt hatte der auf Naziverbre­chen spezialisi­erte Dortmunder Oberstaats­anwalt Andreas Brendel das systematis­che Töten in dem deutschen Konzentrat­ionslager bei Danzig durch die SS geschilder­t. Er zählte Details auf: den Todeskampf der Häftlinge beim Vergasen, Kopfschüss­e bei vorgetäusc­hten medizinisc­hen Untersuchu­ngen, den körperlich­en Verfall der Häftlinge durch Mangelernä­hrung und harte Arbeit. Laut Anklage war das alles möglich durch die SS-Wachmannsc­haft, der der Angeklagte angehört habe.

Der 94-Jährige, der im Rollstuhl in den Gerichtssa­al geschoben wurde, soll von 1942 bis 1944 in Stutthof Dienst getan haben. Er hat laut Anklage nicht nur mitbekomme­n, wie Häftlinge brutal ums Leben kamen. Als Wachmann soll er viele grausame Morde erst möglich gemacht haben. Nach Angaben der für die Aufklärung von NS-Verbrechen zuständige­n Zentralen Stelle in Ludwigsbur­g starben bis Kriegsende 65 000 Menschen in Stutthof und seinen Nebenlager­n sowie auf den sogenannte­n Todesmärsc­hen.

Zum Abschluss des ersten Prozesstag­es verlasen mehrere Nebenkläge­ranwälte persönlich­e Erklärunge­n von Holocaust-Überlebend­en. Eine Nebenkläge­rin gab ihrer Hoffnung auf späte Gerechtigk­eit für ihre ermordete Mutter Ausdruck. „Er hat mitgeholfe­n, meine geliebte Mutter zu ermorden, die ich mein ganzen Leben so vermisst habe“, ließ die Frau aus Indianapol­is (USA) verlesen.

Die Anwälte des geschieden­en dreifachen Vaters kündigten an, dass er sich im Laufe des Verfahrens äußern werde. Wann genau, ist noch offen. An dem Verfahren beteiligen sich 17 Nebenkläge­r, darunter Holocaust-Überlebend­e aus Israel und den USA. Mehrere Nebenkläge­r teilten ihr Unverständ­nis mit, dass die deutsche Justiz sieben Jahrzehnte gebraucht habe, um die NS-Verbrechen an Juden in Stutthof vor Gericht zu bringen. Der Prozess wird morgen fortgesetz­t.

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FOTO: GUIDO KIRCHNER/DPA Ein Justizbeam­ter schiebt den 94-Jährigen mit dem Rollstuhl in den Sitzungssa­al.

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