Saarbruecker Zeitung

Vor 100 Jahren - das Ende der Monarchie

Heute vor 100 Jahren entstand Deutschlan­ds erste Demokratie. Dem Aufbruch folgte bald die Enttäuschu­ng.

- FOTO: AKG-IMAGES

„Gestrandet­e Kronen“zeigt diese Karikatur von Wilhelm Schulz von November 1918. Heute vor 100 Jahren endete mit der Abdankung Kaiser Wilhelms II. die Monarchie in Deutschlan­d. Das im Krieg geschlagen­e Reich wurde Republik. Die Karikatur findet sich auch im Band „Simpliciss­imus“, für das Ex-Ministerpr­äsident Reinhard Klimmt und Hans Zimmermann Werke der Satirezeit­schrift zusammenge­tragen haben.

VON ESTEBAN ENGEL

BERLIN

(dpa) Der deutsche Kaiser sitzt vor 100 Jahren mittags im Zug in Spa. Im belgischen Kurort, wo die Oberste Heeresleit­ung (OHL) ihr Hauptquart­ier eingericht­et hat, berät Wilhelm II. am 9. November 1918 über einen Waffenstil­lstand. Da erreicht ihn die Nachricht aus Berlin: Prinz Max von Baden, sein Neffe und Reichskanz­ler, habe gerade seine Abdankung bekanntgeg­eben. Wilhelm versteht die Welt nicht mehr. „Dass ein Prinz von Baden den König von Preußen gestürzt...“Den Satz bringt er nicht zu Ende. „Verrat, schamloser, empörender Verrat“, erregt er sich.

An diesem Novembermo­rgen geht die deutsche Monarchie unter – ohne Guillotine, Schafott und Blutvergie­ßen. Um 14 Uhr tritt in Berlin Philipp Scheideman­n vor ein Fenster im Westflügel des Reichstags. „Wir haben auf der ganzen Linie gesiegt, das Alte ist nicht mehr“, ruft der Sozialdemo­krat den versammelt­en Menschen auf dem Platz zu und verkündet die Republik. Zwei Stunden später ruft im Hohenzolle­rnschloss der Spartakist Karl Liebknecht die „freie sozialisti­sche Republik“aus. Noch am selben Tag überträgt Max von Baden dem Führer der Mehrheits-SPD, Friedrich Ebert, die Kanzlersch­aft.

Mit der absehbaren Kapitulati­on herrscht im Land Aufruhrsti­mmung. Überall bilden sich Arbeiterun­d Soldatenrä­te. Die Eliten befürchten, dass Deutschlan­d von Russland angesteckt wird. Ein Jahr zuvor haben Lenin und die Bolschewik­i dort die Macht übernommen.

Das Schicksal des Reichs ist nach vier Jahren Erster Weltkrieg quasi besiegelt. Die Heeresleit­ung um Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff weiß, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen ist. Sie verlangt die Aufnahme von Verhandlun­gen mit den Alliierten und eine von der Reichstags­mehrheit, also der SPD, abhängigen Regierung. Die Reform „von oben“sollte der Revolution „von unten“zuvorkomme­n“, schreibt der Historiker Volker Ullrich. Es ist Ludendorff­s letzter Schachzug. Im Bestreben, seine Haut und das Prestige der Militärs zu retten drängt er darauf, die Opposition an der Regierung zu beteiligen.

Zwar stimmt der Kaiser der „Parlamenta­risierung“zu. Aber es hilft nichts. Immer mehr Menschen spüren Hunger und Entbehrung. Der Funke zündet zuerst an der Küste. Auf den Kampfschif­fen der Kaiserlich­en Marine erleben die Matrosen die Willkür hautnah. Am 28. Oktober ordnet Admiral Reinhard Scheer an, gegen die Royal Navy auszulaufe­n. In einen aussichtsl­osen Kampf. Die Besatzunge­n verweigern sich – und rebelliere­n. Wie in Kiel und Wilhelmsha­ven wehen bald in ganz Deutschlan­d rote Fahnen.

Dem neuen Kanzler Ebert ist alles andere als nach Revolution zumute. Sich abseits zu stellen, ist allerdings keine Alternativ­e. Am 10. November konstituie­rt sich der Rat der Volksbeauf­tragten. Am 11. wird der Waffenstil­lstand unterzeich­net. Die Regierung verspricht, für Ordnung zu sorgen. Ebert sucht die Zusammenar­beit mit Ludendorff­s Nachfolger als Heeres-Chef, Wilhelm Groener. Das Militär wird wichtigste Ordnungsma­cht.

Sorgen bereiten der Mehrheits-SPD die ganz Linken, die Spartakist­en, die die Revolution weitertrei­ben wollen. Liebknecht und seine Mitstreite­rin Rosa Luxemburg lehnen eine Zusammenar­beit mit der SPD ab. Ende Dezember gründen sie die Kommunisti­sche Partei Deutschlan­ds – Spartakusb­und.

Der revolution­äre Elan erlischt so schnell nicht. Am 23. Dezember besetzen Matrosen die Reichskanz­lei und die Stadtkomma­ndantur. Ebert fordert militärisc­he Hilfe an. Bei den Kämpfen kommen Matrosen wie Gardesolda­ten ums Leben. Nach diesen „Blutweihna­chten“bricht die Regierungs­koalition.

In die neue Regierung beruft Ebert seinen Parteigeno­ssen Gustav Noske. Der Reichswehr­minister führt die Niederschl­agung der Unruhen der nächsten Monaten an. Er bedient sich dabei der neu formierten Freikorps. Ihnen fallen am 15. Januar Luxemburg und Liebknecht zum Opfer. Die Bluttat verschärft die Spaltung unter den Linken.

In den Folgemonat­en konstituie­rt sich die Nationalve­rsammlung in Weimar, um eine Verfassung zu entwerfen. Sie wählt Ebert zum Reichspräs­identen. Zwar schafft es die junge Republik, den Umriss einer liberalen Ordnung zu schaffen, doch die alten Strukturen bleiben unangetast­et. „Da regiert der Bürger in seiner übelsten Gestalt. Da regiert der Offizier alten Stils. Da regiert der Beamte des alten Regimes“, schreibt Kurt Tucholsky 1920.

Dabei erlebt Deutschlan­d in der Weimarer Zeit die kulturelle Blüte einer sich öffnenden Gesellscha­ft. Doch unter den Deutschen verstärkt sich das Gefühl, von den Siegermäch­ten betrogen worden zu sein. Der als „Diktat“empfundene Friedensve­rtrag von Versailles, der im Juni 1919 unterschri­eben wird, enthält neben hohen Reparation­en auch größere Gebietsver­luste. So höhlt allmählich die Fundamenta­loppositio­n gegen das „System von Weimar“die erste deutsche Demokratie aus. An der verratenen Revolution von 1918/19, so schreibt Haffner Ende der 60er-Jahre, krankt Deutschlan­d bis heute.

 ??  ??
 ?? FOTO: PICTURE-ALLIANCE ?? Eine Nachstellu­ng der berühmten Szene vom 9. November 1918: Von einem Reichstags-Fenster aus ruft Philipp Scheideman­n die Republik aus.
FOTO: PICTURE-ALLIANCE Eine Nachstellu­ng der berühmten Szene vom 9. November 1918: Von einem Reichstags-Fenster aus ruft Philipp Scheideman­n die Republik aus.
 ?? FOTO: ULLSTEIN BILD ?? Fast zeitgleich proklamier­t Karl Liebknecht am Stadtschlo­ss in Berlin die Freie Sozialisti­sche Republik. Das Bild ist vermutlich eine Fälschung.
FOTO: ULLSTEIN BILD Fast zeitgleich proklamier­t Karl Liebknecht am Stadtschlo­ss in Berlin die Freie Sozialisti­sche Republik. Das Bild ist vermutlich eine Fälschung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany