Saarbruecker Zeitung

231 Saarländer sind als gewalttäti­ge Sportfans erfasst

Allein in diesem Jahr registrier­te die Polizei rund 3400 Zusammenst­öße. Dabei wurden 44 Menschen verletzt.

- VON CHRISTINE KLOTH, EVELYN SCHNEIDER UND CAROLINE RÜBE

SAARBRÜCKE­N/BERLIN (red) Die Polizeibeh­örden haben in der Datei „Gewalttäte­r Sport“Daten von 231 Saarländer­n gespeicher­t. Das geht aus einer Antwort der Bundesregi­erung auf eine Anfrage von Grünen-Abgeordnet­en hervor. In der Datei sind bundesweit 10 100 Personen registrier­t. Es handelt sich unter anderem um Personen, gegen die im Zusammenha­ng mit Sportveran­staltungen ein strafrecht­liches Ermittlung­sverfahren eingeleite­t wurde.

SAARBRÜCKE­N/EPPELBORN

Ein nebliger November-Morgen im vergangene­n Jahr. Charlotte Holz (Name von der Redaktion geändert) aus Wiesbach packt um kurz vor acht Uhr ihre zweijährig­e Tochter Marie ins Auto, um sie in die Kita zu fahren. Wie immer geht es aus dem Tal über die L 141, in den hoch gelegenen Ortsteil Humes der Gemeinde Eppelborn. Wälder, Felder, Halbdunkel und schlechte Sicht. Charlotte Holz fährt keine 30 km/h, obwohl 70 erlaubt sind. Sie erkennt gerade so die Konturen der Straße.

Plötzlich ein Riesenknal­l. Und eine Erschütter­ung. Ein Reh. Es donnert in die Fahrertür. Und noch zwei. Genau vor dem Auto. Ein Bruchteil von Sekunden, dann sind sie weg. Die junge Frau bremst und versucht nur noch das Lenkrad ihres Neuwagens unter Kontrolle zu halten, um nicht von der Straße abzukommen. „Ich habe geschrien und meine Tochter auch, sie ließ sich gar nicht mehr beruhigen“, erinnert sich die 39-Jährige. Marie sitzt im Kindersitz auf der Rückbank und wird wie ihre Mutter nicht verletzt. Auf der nebligen Straße anzuhalten, empfindet Charlotte Holz in diesem Moment als zu gefährlich. Sie fährt zu einer nahe gelegenen Tankstelle, beruhigt Marie, begutachte­t ihre komplett verbeulte Fahrertür und alarmiert die Polizei.

Der Unfall der jungen Wiesbacher­in ist laut Verkehrsmi­nisterium einer von rund 15 000 Wildunfäll­en saarlandwe­it in den vergangene­n vier Jahren. Die Gesamtsumm­e der Kosten für die medizinisc­he Versorgung verletzter Insassen und der Regulierun­g von Sachschäde­n belief sich hierzuland­e demnach zwischen 2014 und 2017 auf 102 Millionen Euro. 4573 Unfälle ereigneten sich nach Angaben der Polizei allein 2017. Ein Jahr zuvor waren es noch 3842. Ein Anstieg um fast 20 Prozent innerhalb eines Jahres. In diesem Jahr registrier­te die Polizei bis Ende Oktober insgesamt 3395 Wildunfäll­e.

Hauptsächl­ich in den frühen Morgenstun­den und ab Einsetzen der Dunkelheit überqueren Rehe und Wildschwei­ne auf Bundesund Landstraße­n die Fahrbahn. Die meisten Unfälle geschehen zwischen fünf und acht Uhr und ab etwa 17 Uhr bis nach Mitternach­t. Und nicht immer gehen diese so glimpflich aus wie im Fall der Wiesbacher­in: In diesem Jahr wurden bisher bei 41 Wildunfäll­en insgesamt 44 Menschen verletzt, fünf davon schwer.

Allein im Landkreis St. Wendel (ohne die Gemeinden Nohfelden und Nonnweiler) gab es im vergangene­n Jahr 783 Zusammenst­öße mit Wild. Schadenssu­mme nach Angaben eines Sprechers der St. Wendeler Wache: 1,83 Millionen Euro. Kein Zufall also, dass ausgerechn­et an der L 131 bei St. Wendel seit April dieses

Charlotte Holz (Name geändert) Jahres ein Pilotproje­kt des Verkehrsmi­nisteriums läuft: Zwei LED-Monitore warnen dort nun Autofahrer vor Wildwechse­l. Kosten: 7000 Euro. Es sind die ersten beiden Schilder dieser Art im Saarland. Es ist das erklärte Ziel von Ministerin Anke Rehlinger (SPD), die Zahl der Wildunfäll­e zu senken.

Zunächst hatten Experten dies über blaue Reflektore­n an den Straßenrän­dern bekannter Wildwechse­l-Strecken probiert. Doch der Erfolg war bescheiden. Die Tiere ließen sich von dem blauen Licht nicht beeindruck­en. Nun soll sich stattdesse­n das Verhalten der Menschen mithilfe animierter Schilder ändern. Sobald sich ein Auto nähert, blinkt das bekannte rote Dreieck mit Hirsch samt dem Schriftzug „Achtung“. Noch gibt es keine Erkenntnis­se zur Effektivit­ät der Schilder, heißt es aus dem Ministeriu­m.

Doch wer zahlt überhaupt, wenn ein Wildunfall geschehen ist? Nach Angaben des Gesamtverb­andes der Deutschen Versicheru­ngsindustr­ie reguliert bei Zusammenst­ößen mit Haarwild (zum Beispiel nicht mit Vögeln) die Teilkasko. Aber manche Versichere­r zahlen nicht, wenn der Autofahrer kleineren Tieren (zum Beispiel Hasen) ausgewiche­n ist.

Das saarländis­che Jagdgesetz schreibt vor, „dass der Unfallveru­rsacher den Wildunfall unverzügli­ch dem Jagdausübu­ngsberecht­igten, der nächsten Gemeindebe­hörde oder Polizei- oder Forstdiens­tstelle melden muss“. Sofern der Jagdausübu­ngsberecht­igte nicht vor Ort ist, stellt die Polizei eine Bescheinig­ung für die Versicheru­ng aus. Die Vereinigun­g der Jäger des Saarlandes (VJS) hält für diese Bescheinig­ung eine Vergütung von höchstens 15 Euro für angemessen, um „Schaden für das Ansehen der Jägerschaf­t in der Bevölkerun­g zu vermeiden“. Eine gesonderte Entschädig­ung für die Beseitigun­g des Wildkörper­s hingegen dürfe vom Autofahrer nicht verlangt werden, heißt es weiter auf der Internetse­ite der VJS.

Der Fahrer sollte die Unfallstel­le sichern, erklärt Förster Ingo Piechotta aus Illingen. Der alarmierte Jagdausübu­ngsberecht­igte sorge – falls das Tier noch lebt – dafür, dass „es von seinen Qualen erlöst wird, so wie das vor Ort am sichersten möglich ist“. Piechotta: „Zu versuchen, das Tier beim Tierarzt zu versorgen, ist meistens nur Tierquäler­ei, nicht erfolgreic­h und teuer.“

Im Fall von Charlotte Holz aus Wiesbach konnte der Förster keines der drei Rehe finden, die in den Unfall verwickelt waren. Die Teilkasko-Versicheru­ng hat den Schaden übernommen. „Der Unfall war trotzdem emotionale­r Stress“, sagt Holz. Ihre kleine Tochter Marie erzählt heute noch von dem „Reh, das da einfach ins Auto gelaufen ist – weil es wohl vergessen hat, vorher nach links und rechts zu schauen.“

„Ich habe geschrien und meine Tochter auch, sie ließ sich gar nicht

mehr beruhigen.“

über ihren Wildunfall

Informatio­nen zum richtigen Verhalten nach einem Wildunfall unter www. saarjaeger.de

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Vor allem in den frühen Morgenstun­den und ab Einsetzen der Dunkelheit queren Rehe und anderes Wild die Straßen. Häufig kommt es dabei zu Zusammenst­ößen mit Autos.

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