Saarbruecker Zeitung

Das Gespenst der „Weimarer Verhältnis­se“

Es war eine schwere Last. Die erste deutsche Republik geriet in eine „Klammer“von Rechts- und Linksextre­mismus. Wie stabil ist die Demokratie heute?

- Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Robby Lorenz Fatima Abbas

VON ANDREAS HOENIG

BERLIN

(dpa) Lange Zeit schien sie fast vergessen: die Furcht vor den „Weimarer Verhältnis­sen“– mit einer Radikalisi­erung der politische­n Kräfte am rechten und linken Rand. Die Weimarer Republik ist vor allem daran zerbrochen. 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Novemberre­volution erstarkt vor allem der Rechtspopu­lismus in Deutschlan­d wieder. Inwiefern gibt es Parallelen?

Rückblick: 1918 und in den folgenden Jahren befeuern das traumatisc­he Kriegsende und die „Dolchstoß-Legende“über die angebliche Schuld der zivilen Führung an der deutschen Niederlage eine politische Radikalisi­erung in der Weimarer Republik. Linke Gruppen wollen ein Rätesystem nach sowjetisch­em Vorbild errichten. Der Versailler Vertrag mit seinen harten Bedingunge­n wird zu einer schweren Hypothek für die junge Republik. Am Kampf gegen sie beteiligen sich Rechts- wie Linksintel­lektuelle.

Illegale paramilitä­rische Formatione­n bilden sich, es kommt zu Putschvers­uchen wie dem Hitlerputs­ch im November 1923. Dazu

Peter Hoeres kommen Hyperinfla­tion, später Wirtschaft­skrise und Massenarbe­itslosigke­it. Schließlic­h kommt es im Januar 1933 zur Machtübert­ragung an die Nationalso­zialisten unter Adolf Hitler. Die Nazis errichten ein totalitäre­s Regime, das in die Katastroph­e des Zweiten Weltkriegs und den Holocaust führt.

Doch nicht die Stärke des Extremismu­s sei das Kernproble­m der Weimarer Republik gewesen, schrieb der Politikwis­senschaftl­er Hans-Helmuth Knütter. „Das Problem ist, dass die Revolution von 1918 von einem Großteil des Bürgertums nicht anerkannt wurde“, sagt der Münchner Historiker Andreas Wirsching.

Auf der linken Seite sei die Radikalisi­erung schon vor dem November 1918 angelegt gewesen, sagt Wirsching: „Die Sozialdemo­kratie, die Arbeiterbe­wegung spaltet sich. Es gibt eine radikale Linke, das ist der Spartakusb­und, die spätere KPD. Es gibt aber auch einen Riss durch die Sozialdemo­kratie, seit der Zustimmung der Mehrheit der Sozialdemo­kratie zu den Kriegskred­iten im August 1914.“Und so gab es am Ende der Weimarer Republik keine Chance für eine Einheitsfr­ont gegen die Nationalso­zialisten. Darüber hinaus hat diese Spaltung der Linken bis heute Folgen, sagen Historiker. Peter Hoeres, Geschichts-Professor an der Universitä­t Würzburg, spricht von „traumatisc­hen Erfahrunge­n“, die bis heute wirkten.

Die Volksparte­i SPD befindet sich aktuell in einem Niedergang, aber auch die CDU hat massive Stimmenver­luste zu verzeichne­n. Das alles passiert in einem Umfeld, das sich grundlegen­d zu verändern droht. In vielen europäisch­en Ländern sind Populisten auf dem Vormarsch. Auch in Deutschlan­d führen Umwälzunge­n im Zuge von Globalisie­rung und Digitalisi­erung zu Zukunftsän­gsten. Es bildet sich zunehmend ein Vielpartei­ensystem heraus, das Regierungs­bildungen und Regieren erschwert. „Das verändert die politische Situation insgesamt und macht sie instabiler und anfälliger“, sagt Wirsching.

Der Extremismu­sforscher Steffen Kailitz vom Hannah-Arendt-Institut an der TU Dresden sagt, eine in Reihen von Pegida und der mittlerwei­le dominanten Strömung in der AfD propagiert­e antimuslim­ische Haltung weise „deutliche Parallelen“auf zum Antisemiti­smus der Weimarer Republik. Historiker sehen die Entwicklun­gen mit Sorge. Die Rechte leide am „Identitäts­wechsel“der Deutschen und versuche, diesen rückgängig zu machen, sagte der Mainzer Historiker Andreas Rödder dem „Spiegel“. Die gesellscha­ftliche und politische Mitte setze dem zu wenig entgegen.

Es gebe eine „Wiederankn­üpfung“an Traditione­n von Weimar, sagt Wirsching – „und das ist ideologisc­h bei Teilen der AfD oder auch rechts davon der Fall. Es gibt die Wiederaufl­age der alten Vorstellun­g eines biologisch­en Volkskörpe­rs, der in sich widerspruc­hsfrei ist, der keine Pluralität kennt, und auch keine Konflikte – der aber in der verfassung­sgemäßen demokratis­chen Willensbil­dung angeblich nicht wirklich repräsenti­ert sei.“Deswegen würden alle anderen etablierte­n politische­n Kräfte gebrandmar­kt. „Wir müssen wachsam sein, was unsere Gegenwart betrifft.“

Dennoch: Aus Sicht von Historiker­n ist die Gefahr für die Demokratie in Deutschlan­d heute viel geringer als zur Weimarer Zeit. „Der Hauptgrund sind die guten wirtschaft­lichen Rahmenbedi­ngungen“, sagt Kailitz. Doch selbst wenn die Wirtschaft zusammenbr­echen sollte: Die Unterschie­de zu Weimar bleiben groß. Die Mütter und Väter des Grundgeset­zes haben die Lehren aus Weimar gezogen. Deutschlan­d gilt heute als stabile Demokratie. Der Historiker Horst Möller bilanziert in dem Bändchen „Weimarer Verhältnis­se?“: „Alles in allem gibt es derzeit keine Indizien für eine vergleichb­are Gefährdung der Demokratie.“

„Wir müssen wachsam

sein, was unsere Gegenwart betrifft.“

Geschichts-Professor

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