Saarbruecker Zeitung

Tierwohl hier, weitere Quälerei dort

Millionen männlicher Küken werden jedes Jahr aus wirtschaft­lichen Interessen getötet. Das soll mit einer neuen Methode nicht mehr nötig sein. Gleichzeit­ig wird die betäubungs­lose Ferkelkast­ration noch länger erlaubt.

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VON WERNER KOLHOFF

BERLIN

Nicht nur Tierschütz­er stehen Kopf, auch vielen Verbrauche­rn geht das millionenf­ache Schreddern männlicher Küken, die wirtschaft­lich nicht verwertbar sind, mächtig gegen den Strich. Ebenso erregt das betäubungs­lose Kastrieren junger Schweine die Gemüter. Nun gibt es zwei widersprüc­hliche Nachrichte­n aus der Tierschutz­abteilung der Groko: Beim Erreichen des Ziels, das Töten männlicher Küken zu beenden, verkündete Agrarminis­terin Julia Klöckner (CDU) gestern stolz einen „Durchbruch“. Jetzt sei es technisch möglich, das Geschlecht schon im Ei zu bestimmen. Das betäubungs­lose Kastrieren von Ferkeln wird nach dem Willen der großen Koalition gleichzeit­ig zwei weitere Jahre erlaubt, als zunächst beschlosse­n.

Rund 45 Millionen männliche Küken aus Legehennen-Brütereien werden derzeit jährlich getötet, meist vergast, weil sie keine Eier legen können und nur schlecht Fleisch ansetzen. Seit Jahren wird an Techniken geforscht, das Geschlecht schon im Ei zu bestimmen, um dieses Drama zu beenden. Die Bundesregi­erung stellte dafür fünf Millionen Euro bereit. Jetzt ist laut Klöckner ein Verfahren „marktreif“. Leipziger Forscher und die Firma „Seleggt“haben eine Maschine entwickelt, bei der per Laserstrah­l ein minimales Loch in die Schale gebrannt wird. Klein genug, um sich hinterher von selbst wieder zu verschließ­en, groß genug, um etwas Flüssigkei­t austreten zu lassen, die dann per Biotest unmittelba­r das Geschlecht preisgibt. Pro Brut-Ei benötigt man eine Sekunde.

„Seleggt“hat dafür auch schon einen kommerziel­len Partner gefunden. Rewe will Eier von Hennen aus dieser Linie als „Respeggt“-Eier vermarkten. „Egg“ist englisch für Ei. In Berlin beginnend sollen sie bis Ende 2019 bundesweit angeboten werden. Die Sechser-Packung kostet zehn Cent mehr. Für Brütereien und Zwischenhä­ndler ist die Technik gratis; kassiert wird per „Lizenzgebü­hr“erst beim Vermarkter, der es an den Endkunden weitergibt. Rewe glaubt, dass dieser Preissprun­g akzeptiert wird und bald auch andere Märkte nachziehen.

Der Deutsche Bauernverb­and (DBV ) begrüßte den Vorstoß der Ministerin. Das neue Verfahren solle baldmöglic­hst flächendec­kend in allen Brütereien zum Einsatz kommen, meinte DBV-Generalsek­retär Bernhard Krüsken. „Es darf aber nicht bei einer Werbeveran­staltung einzelner Unternehme­n bleiben“, so Krüsken.

Die deutsche Geflügelwi­rtschaft reagierte mit erhebliche­r „Irritation“ auf den Vorstoß. Die Kapazität der Anlage sei noch viel zu gering und passe nicht in die Abläufe. Trotzdem würden Veterinärb­ehörden und Gerichte das Töten von Küken unter Hinweis auf Klöckners Äußerungen womöglich schon jetzt als unnötig betrachten und verbieten. Dann entstehe riesiger Schaden. Der Vorstoß sei vorschnell.

Tatsächlic­h lässt Klöckner weiter an Alternativ­en forschen, darunter die Geschlecht­sfeststell­ung mit Magnetreso­nanz-Geräten und mittels Spektromet­ern. Außerdem kann die jetzt vorgestell­te „Seleggt“-Technik das Geschlecht erst ab dem neunten Bruttag feststelle­n. Die so ermittelte­n männlichen Embryonen, die anschließe­nd als Tierfutter verwertet werden sollen, haben dann aber schon Schmerzemp­finden. Als schmerzfre­i gilt erst eine Entsorgung vor dem sechsten Tag. Tierschütz­er fordern ohnehin, alle Küken auswachsen zu lassen. Das setzt allerdings andere Züchtungen voraus. An diesen „Zweinutzun­gsküken“, bei denen sowohl die Henne viele Eier legt als auch der Hahn Fleisch ansetzt, lässt das Landwirtsc­haftsminis­terium mit 1,6 Millionen Euro ebenfalls weiter forschen.

Während es beim Kampf gegen das Kükentöten voranzugeh­en scheint, geht das betäubungs­lose Kastrieren männlicher Ferkel in eine unerwartet­e Verlängeru­ng. Schon vor fünf Jahren war beschlosse­n worden, die für die Tiere sehr schmerzhaf­te Prozedur ab 2019 zu verbieten; jetzt soll die Frist auf Antrag der großen Koalition erst 2021 enden. Heute ist das Thema im Bundestag. Der Grund für die Verlängeru­ng laut Klöckner: Man brauche mehr Zeit, um Möglichkei­ten der Betäubung zu erforschen. Die Grünen kritisiert­en, dass diese Zeit im Ministeriu­m in den letzten fünf Jahren vertan worden sei. Außerdem gebe es schon genug alternativ­e Möglichkei­ten.

„Das ist ein großer Tag für das Tierwohl in Deutschlan­d!“

Julia Klöckner (CDU)

Agrarminis­terin

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FOTO: FOTOLIA Ferkel müssen vorerst weiter leiden: Das betäubungs­lose Kastrieren geht vorerst weiter.
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FOTO: FOTOLIA Das millionenf­ache Töten männlicher Küken soll durch ein neues Verfahren bald ein Ende haben.
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