Saarbruecker Zeitung

Die Demokratie muss um ihre Demokraten kämpfen

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Es war einer der ganz großen Momente der deutschen Geschichte: Als SPD-Politiker Philipp Scheideman­n heute vor 100 Jahren ans Fenster des Berliner Reichstags trat, verkündete er nichts weniger als die allererste Demokratie auf deutschem Boden. Tragisch ist nur, dass die Weimarer Republik, die an diesem 9. November ihren Ursprung hatte, weniger durch ihre großen Errungensc­haften, sondern vielmehr durch ihr krachendes Scheitern im Gedächtnis geblieben ist – und durch die Barbarei, die ihr folgte. Eine Tragik, die zugleich ein Lehrstück ist.

Insofern ist Weimar heute wieder aktueller denn je. Nicht weil Deutschlan­d erneut ein Abgleiten in die Diktatur droht. Die Republik ist heute sehr viel stabiler als zwischen 1918 und 1933, die historisch­en Erfahrunge­n haben zudem das Demokratie-Bewusstsei­n der Menschen geprägt. Das Gerede von „Weimarer Verhältnis­sen“angesichts einer komplizier­ten politische­n Gemengelag­e ist deshalb völlig überzogen. Richtig ist aber: Die kurze Episode nach dem Ersten Weltkrieg verrät uns auch heute noch viel darüber, woran Demokratie scheitern kann. Dass ihre Institutio­nen sie nur schützen können, solange die Menschen im Land den demokratis­chen Geist atmen. Das ist die Erkenntnis, die es auf heute zu übertragen gilt.

Denn eigentlich war die Weimarer Verfassung von 1919 viel besser als ihr Ruf. Gewaltente­ilung, ein allgemeine­s, gleiches und geheimes Wahlrecht, Rechtsstaa­tlichkeit – all diese Elemente waren in ihr enthalten. Als Konstrukti­onsfehler erwies sich dagegen im Nachhinein etwa die starke Stellung des Reichspräs­identen, vor allem der berüchtigt­e Artikel 48. Dadurch konnten in der Endphase der Republik die sogenannte­n „Präsidialk­abinette“ mithilfe von Notverordn­ungen des Staatsober­haupts am Parlament vorbei regieren.

Doch die Schwächen der Verfassung kamen nur deshalb so stark zur Geltung, weil zu viele politische Akteure nicht an die ihr zugrunde liegenden Werte glaubten. Allen voran Reichspräs­ident Paul von Hindenburg. Der fühlte sich zwar durch seinen Eid an die Verfassung gebunden, war aber alles andere als ein Demokrat. Dazu kam: Diejenigen Politiker, die sich den Werten von Weimar verpflicht­et fühlten, schafften es nicht, sich dauerhaft das Vertrauen des Volkes zu sichern. Parteienge­zänk und fehlende Antworten auf drängende Fragen der Zeit führten dazu, dass sich Menschen zunehmend von den republiktr­euen Parteien abwandten. Was blieb, war die vielzitier­te „Demokratie ohne Demokraten“.

Und so muss die heute wieder steigende Politikver­drossenhei­t ein Alarmsigna­l sein – die sich etwa im Erstarken des Rechtspopu­lismus äußert. Wieder bleiben drängende Fragen unserer Zeit unbeantwor­tet: zur Globalisie­rung, zur Migration, zum Klimawande­l, zum Pflegenots­tand und zu vielem mehr. Wieder machen die staatstrag­enden Parteien vor allem mit Streiterei­en auf sich aufmerksam. Die Politik muss besser werden, damit unserer Demokratie nicht noch mehr Demokraten abhandenko­mmen. Und sie nicht Gefahr läuft, ausgehöhlt zu werden.

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