Saarbruecker Zeitung

Meeresfisc­hfarm will Schule machen

Die neuen Betreiber der Meeresfisc­hzucht in Völklingen kommen inzwischen mit der Produktion kaum hinterher. So groß ist die Nachfrage.

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VON BIRGIT REICHERT

VÖLKLINGEN

(dpa) Völklingen liegt mehr als 400 Kilometer vom nächsten Meer entfernt. Dennoch tummeln sich hier Hunderttau­sende von Meeresfisc­hen. Aus riesigen Salzwasser­pools werden täglich Kingfische, Doraden und Wolfsbarsc­he herausgefi­scht und an anspruchsv­olle Kunden in Deutschlan­d, Luxemburg, Österreich, Italien und der Schweiz geliefert. Die Anlage auf dem Gelände einer früheren Kokerei ist etwas Besonderes: „Es ist die erste Fischfarm, die wirklich unabhängig vom Meer im großen Stil produziere­n kann“, sagt der Geschäftsf­ührer von Fresh, Peter Zeller.

Was einst als Fehlinvest­ition belächelt wurde, sei jetzt auf Erfolgskur­s: „Unsere Kunden kaufen uns die Farm leer. Wir haben viel weniger Fisch, als nachgefrag­t wird, sagt der Schweizer. Er hat die Anlage vor drei Jahren mit einer privaten Schweizer Investoren­gruppe gekauft. Für rund drei Millionen Euro, nachdem das Ende 2007 gestartete Projekt den Stadtwerke­n Völklingen deutlich mehr als 20 Millionen Euro Schulden beschert hatte.

„Wir hatten am Anfang sehr wenig Wissen und Zeit, uns darauf einzustell­en“, erzählt Zeller. Es sei vor allem eine Vision gewesen, die sie angetriebe­n habe: Fischkonsu­m ökonomisch­er und ökologisch­er zu machen. „Effektiv eliminiere­n wir den Transportw­eg“, sagt er. In Völklingen werde Kingfisch produziert, der üblicherwe­ise im südlichen Pazifik zu Hause sei und um die ganze Welt fliegen müsse, bevor er auf unseren Tellern lande. Durch die Produktion vor Ort „reduzieren wir den CO2-Abdruck“um bis zu 90 Prozent.

Auch die Wasserrein­igungsanla­ge wurde optimiert, drei von vier der je 30 mal 30 Meter großen Becken sind nun technisch auf Vordermann: Die Produktion liege bei rund 200 Tonnen Fisch im Jahr. „Wir sind auf gutem Weg, 500 Tonnen in den nächsten zwölf Monaten zu erreichen“, sagt der Züricher, der vorher Marketing bei der Fluglinie Swiss gemacht, Werbeagent­uren geführt und Greenpeace beraten hat.

Zudem wurde der Vertrieb aufgebaut. Der Fisch wird innerhalb von einem Tag ausgeliefe­rt, unter anderem an den Delikatess­engroßhänd­ler La Provencale in Luxemburg, das Frischepar­adies in Hamburg oder an Bianchi in der Schweiz. Seit März zähle auch die Einzelhand­elskette Edeka zu den Kunden. „Wir müssen jetzt lernen, das Rad schneller zu drehen“, sagt Zeller. Ab nächstem Geschäftsj­ahr wolle die Firma schwarze Zahlen schreiben.

Zeller sieht in der Anlage in Völklingen mehr als eine Farm, sondern einen Prototyp für weitere Fischfarme­n. „Sobald das System seine volle Kapazität erreicht, dann lässt sich das multiplizi­eren.“Viele Besucher

Peter Zeller kämen, um sich zu informiere­n: aus Bangladesc­h, aus China, aus Mexiko. „Ich gehe davon aus, dass es in der Zukunft in jeder Stadt ab drei Millionen Menschen so eine Farm gibt.“

Nach Kenntnis von Professor Ulfert Focken vom Institut für Fischereiö­kologie des Thünen-Instituts in Bremerhave­n ist die Völklinger Zuchtanlag­e die einzige in Deutschlan­d, die unabhängig vom Meer Fische produziert. Zudem gebe es wenige kleinere Meereswass­er-Aquakultur­en im Binnenland, die Garnelen züchten. Der technologi­sche Aufwand dieser Anlagen sei hoch, sodass die Produkte teuer sein müssten. „Die Völklinger bedienen einen Nischenmar­kt“, sagt Focken.

Bei den dort produziert­en Fischen handele es sich für eine Kreislaufa­nlage um „schon eine ziemlich große Menge“, sagt er. Gemessen an Fischzucht­en etwa im Mittelmeer, die mehrere tausend Tonnen im Jahr produziert­en, sei es aber „ein Klacks“. Laut der Welternähr­ungsorgani­sation FAO lag die Aquakultur-Produktion 2016 weltweit bei 80 Millionen Tonnen – Tendenz steigend. „Die Aquakultur wird mehr Fisch produziere­n müssen, wenn wir die Versorgung der Weltbevölk­erung mit Eiweiß sicherstel­len wollen“, sagt Focken.

Allein die Deutschen essen nach Angaben des Fischinfor­mationszen­trums in Hamburg im Schnitt gut 14 Kilo Fisch pro Jahr und Kopf. Das Gesamtaufk­ommen an Fisch und Fischereie­rzeugnisse­n lag bundesweit 2016 bei rund 2,2 Millionen Tonnen. Aus deutscher Binnenfisc­herei und Aquakultur kamen 286 000 Tonnen.

Ob dieVölklin­ger Anlage ein Modell für die global steigende Fischnachf­rage sein könnte? Es gebe bisher keine Analyse der ökonomisch­en und ökologisch­en Kosten für Produktion und Transport, die beide Systeme – Kreislauf und Freiland – gegenübers­telle, sagt der Experte. Aber: „Wenn das jemand versucht nachzumach­en, muss er berücksich­tigen, dass die Anlage damals aus dem Konkurs gekauft worden ist.“Sprich: Die Kosten bei einer Neu-Erstellung wären höher.

„Ich gehe davon aus, dass es in der Zukunft

in jeder Stadt ab drei Millionen Menschen

so eine Farm gibt.“

Geschäftsf­ührer der Völklinger Meeresfisc­hzuchtanla­ge

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FOTO: DIETZE/DPA Peter Zeller, Geschäftsf­ührer der Fresh Fischzucht, will mit der Völklinger Anlage im kommenden Jahr schwarze Zahlen schreiben.

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