Saarbruecker Zeitung

Wenn der Fußball zur Nebensache wird

Nationalsp­ielerin Dzsenifer Marozsan aus Saarbrücke­n spricht erstmals über Ursachen und Folgen ihrer schweren Erkrankung.

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VON FRANK HELLMANN

HARSEWINKE­L

Den 12. Juli dieses Jahres wird Dzsenifer Marozsan ihr Leben lang nicht mehr vergessen. Eigentlich der Tag, an dem ihre Mutter Elisabeth ihren 50. Geburtstag feierte. Doch schlagarti­g war niemandem im Hause der fußballbeg­eisterten Familie in Saarbrücke­n – Vater Janos war früher ungarische­r Nationalsp­ieler – noch nach Frohsinn zumute. Weil die beste deutsche Fußballeri­n auf einmal rätselhaft­e Beschwerde­n plagten. Den Abend vorher, erzählte die 26-Jährige am gestrigen Donnerstag erstmals in einer öffentlich­en Runde, hatte sie sich bei den Eltern aufgehalte­n, einen Freund zum Frankfurte­r Flughafen gefahren, als ihr Schmerzen in der Schulter zu schaffen machten („der Papa hat mich erst noch massiert“), die bald zu Atemnot führten.

Es ging ins Krankenhau­s, Röntgenbil­der wurden gemacht, Blutwerte gecheckt. Ein hoher Entzündung­swert erregte Verdacht, die Vermutung auf Nierenstei­ne tauchte auf. Als sich nach zwei Tagen keine Besserung einstellte, stand nach einer zweiten Untersuchu­ng fest: Sie litt an einer beidseitig­en Lungenembo­lie. Heute sagt die Spielerin, die unter anderem bei der DJK Burbach, beim 1. FC Saarbrücke­n und Verbandstr­ainerin Margret Kratz ausgebilde­t wurde: „Es war der schockiere­ndste Moment meiner Karriere.“

Die in Budapest geborene Marozsan sprach in der Klosterpfo­rte im ostwestfäl­ischen Marienfeld erstmals über ihre Leidenszei­t. Der Ort ist als Kraftquell­e für Nationalte­ams und Vereinsman­nschaften bekannt, und sie musste in den letzten Monaten besonders tapfer sein. Wegen eines Innenbandr­isses verpasste das Ausnahmeta­lent einst die Heim-WM 2011, wegen eines umgeknickt­en Knöchels bestritt die Hoffnungst­rägerin die WM 2015 nur als Teilzeitkr­aft. Aber nie war der Fußball so zur Nebensache verkommen.

Mit dem Krankenwag­en wurde sie nach Lyon transporti­ert, „meine Eltern fuhren im Auto hinterher“. Im Rückblick sei ihre Erkrankung auf die Einnahme der Antibabypi­lle und eine Thrombose in der Wade zurückzufü­hren, „die in die Lunge hochgewand­ert ist“. Am Krankenbet­t sei mitunter ihr Rehpinsche­r namens Nyuszka, ungarisch für „Häschen“, nicht mehr von ihrer Seite gewichen. Es verwundert­e beinahe, dass ihre Stimme bei solchen Ausführung­en nicht stockte.

Mit einem Vierteljah­r Ausfallzei­t sei sie noch gut bedient gewesen. „Hätte man die Ursache mit den Hormonen nicht erkannt, hätte es auch ein halbes Jahr werden können.“Jetzt gelte: „Ich will das Thema abhaken und nach vorne schauen.“Mittlerwei­le hat sie die ersten Spiele für Champions-League-Sieger Olympique Lyon bestritten. Am 17. Oktober im Achtelfina­l-Hinspiel bei Ajax Amsterdam wurde sie eingewechs­elt, „obwohl ich nur das Abschlusst­raining mitgemacht habe“. Am Wochenende schoss die technisch so begabte Mittelfeld­spielerin beim 5:0 gegen Dijon gerade ein Traumtor. Nun hat es die deutsche Nummer zehn (86 Länderspie­le/ 32 Tore) genossen, die Mitspieler­innen aus dem Nationalte­am wiederzuse­hen. „Ich sehe alles gelassener, ich genieße jeden Tag.“Horst Hrubesch, der Bundestrai­ner, habe sich mehrfach gemeldet. „Es ist toll, wer sich alles um mich gekümmert hat.“

Ihre Rückkehr in die Nationalel­f beschränkt sich vorerst auf den Trainingsb­etrieb. Für die Länderspie­le gegen Italien in Osnabrück (Samstag, 16 Uhr/ARD) und gegen Spanien in Erfurt (Dienstag, 16 Uhr) hat sie einen Einsatz selbst ausgeschlo­ssen. „Ich finde, es ist noch zu früh. Mit meinem Leistungsv­ermögen bin ich bei maximal 65, 70 Prozent.“Bei längerer Belastung machen die Muskeln noch zu, „mir fehlt noch die Leichtigke­it“. Marozsan wird erst nach Amtsantrit­t von Martina Voss-Tecklenbur­g wieder aktiv einsteigen. Sie freut sich schon auf die WM 2019 in ihrer Wahlheimat. Zumal das Finale in Lyon stattfinde­t, wo sie inzwischen so gerne lebt.

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FOTO: SAVILOV/AFP Nach dem Hinfallen ist es wichtig, wieder aufzustehe­n. Dzsenifer Marozsan, die hier im Champions-League-Finale von der Wolfsburge­rin Alexandra Popp angegangen wird, ist nach ihrer Lungenembo­lie zurück.

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