Saarbruecker Zeitung

Demütigung statt „Siegfriede­n“

Vor genau 100 Jahren akzeptiert­en die Deutschen notgedrung­en den Waffenstil­lstand.

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(epd) „Der nationale Leidensweg nach Compiègne war das Schwerste und Bitterste, was mir in meiner amtlichen Tätigkeit auferlegt worden ist“, schrieb Matthias Erzberger rückblicke­nd. Eine Alternativ­e zum Waffenstil­lstand nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg sah der Zentrumspo­litiker und Chef der Verhandlun­gsdelegati­on im November 1918 nicht. Im Gegenteil: „Ich habe das Bewusstsei­n, für unser teures Vaterland gerettet zu haben, was überhaupt zu retten war.“

Die rechtsradi­kalen Feinde der jungen Republik sahen in dem Erstunterz­eichner der erniedrige­nden Waffenstil­lstandsver­einbarung vom 11. November, die bereits den Friedensve­rtrag von Versailles vorwegnahm, dagegen einen Verräter. 1921 wurde Erzberger von rechtsradi­kale Offizieren erschossen. Mitschuld daran trägt auch die Obersten Heeresleit­ung (OHL): Obwohl sie alleinvera­ntwortlich für das militärisc­he Debakel war, überließ sie einem Zivilisten die undankbare Aufgabe, einen Waffenstil­lstand zu erreichen.

Der Krieg war spätestens mit dem Eintritt der USA aufseiten der Entente-Mächte am 6. April 1917 für Deutschlan­d nicht mehr zu gewinnen. Am 14. August 1918 stufte die OHL die militärisc­he Lage als aussichtsl­os ein. Die Soldaten hatten genug vom verlustrei­chen Grabenkrie­g. Tausende desertiert­en. Am 29. September forderte die militärisc­he Führung geradezu panisch, sofort Waffenstil­lstandsver­handlungen aufzunehme­n. Der vier Jahre lang unermüdlic­h versproche­ne „Siegfriede­n“löste sich in Luft auf.

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