Saarbruecker Zeitung

Wie die Menschen im Saargebiet das Kriegsende erlebten

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE CATHRIN ELSS-SERINGHAUS. Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Robby Lorenz Pascal Becher

Am Lehrstuhl von Gabriele Clemens entsteht derzeit eine Dissertati­on über das Kriegsende im Saargebiet. Mit der Professori­n, die Neuere Geschichte und Landesgesc­hichte an der Universitä­t des Saarlandes lehrt, sprachen wir über den November 1918.

Aus dem Krieg gibt es unzählige Zeugnisse, aber nach August 1918, als die ersten Truppen sich auflösten, reißt das ab. Man weiß nur, dass alles erstaunlic­h geordnet ablief. Trotzdem mussten durch das Saargebiet hunderttau­sende Soldaten durch.

CLEMENS Das war so, trotzdem gab es wenig Chaos. Die Truppen wurden durch das eigene Land zurück geführt, marodieren­de Soldaten gab es in nennenswer­ter Zahl nicht. Wenn überhaupt, ereignete sich Gewalt gegen die Zivilbevöl­kerung eher an der Ostfront.

Kann man beziffern, wie viele Soldaten aus dem Saargebiet fielen?

CLEMENS Zurzeit liegt keine Zahl für das Saargebiet vor. Es lässt sich aber sehr gut für einzelne Orte erforschen, ich habe das für Wiesbach getan. Im Deutschen Reich wurden zehn Millionen meist sehr junge Männer eingezogen, in Wiesbach erhielten mehr als 300 einen Gestellung­sbefehl. Damals lebten 2071 Menschen im Ort. Es ist davon auszugehen, dass jeder zweite Wiesbacher im wehrfähige­n Alter zur preußische­n Armee eingezogen wurde. Davon starben 61 entweder im Feld oder in Lazaretten. Diese Verlustquo­te ist im nationalen Vergleich eher gering, so dass vermutet werden darf, dass einige von den Eingezogen­en bald wieder nach Wiesbach zurückkehr­en durften, weil sie dringend in der Grube Göttelborn gebraucht wurden.

Wie muss man sich den 11. November 1918 in saarländis­chen Gemeinden vorstellen? Wusste man vom Waffenstil­lstand?

CLEMENS Dafür müsste man noch mehr lokale Mikro-Studien machen. Aber man darf mutmaßen, dass die Beamten über Telegraphe­n sehr schnell informiert waren, auch war die Tagespress­e sehr schnell, es erschienen oft zwei Ausgaben pro Tag. Die Arbeiter- und Soldatenrä­te, die sich in vielen saarländis­chen Orten gebildet hatten, die werden das alles schon sehr intensiv diskutiert haben. Aber inwieweit es Lieschen Müller interessie­rte, das kann man kaum einschätze­n. Ganz so überrasche­nd kam die Niederlage für die deutsche Bevölkerun­g nicht, wie in der älteren Forschung behauptet. Und so unbeliebt war die Monarchie in breiten Kreisen überhaupt nicht. Eine breite revolution­äre Stimmung lässt sich nicht nachweisen.

Den Begriff Saarland oder Saargebiet gibt es ja 1918 noch gar nicht. Empfanden sich die Menschen denn überhaupt als gemeinsame Gruppe oder definierte­n sie sich als Bayern und als Preußen?

CLEMENS Letzteres war der Fall. Es gab kein deutsches Heer, es gab vier, unter anderem ein preußische­s und ein bayrisches, und diesen Gruppen fühlte man sich zugehörig. Die Menschen werden erst später, durch die zweimalige Sondersitu­ation, zu Saarländer­n. Die besonderen Erfahrunge­n ab 1920, die Völkerbund-Zeit, und die Situation ab 1945 machten die Saarländer zu Saarländer­n. Das vollständi­ge Interview finden Sie unter www.saarbrueck­er-zeitung.de/ interview-clemens

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FOTO: ARCHIV ERICH KAISER Das Deutsche Reich zog im Ersten Weltkrieg etwa zehn Millionen junge Männer ein. Die verwundete­n Soldaten wurden zum Teil auch in Lazaretten im späteren Saargebiet versorgt – wie hier in Beckingen.
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FOTO: YAPH Die Saarbrücke­r Geschichts-Professori­n Gabriele Clemens.

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