Saarbruecker Zeitung

Ein Weltkrieg, so fern – und doch so nah

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Der Krieg, der vor 100 Jahren in Europa endete, verschwind­et immer mehr aus dem Bewusstsei­n der Menschen. Er ist eine Sache von vermoosend­en Denkmälern, Traditions­vereinen und inszeniert­en Veranstalt­ungen geworden. Es ist der Krieg der Groß- und Urgroßväte­r, viel weiter vorn im Geschichts­buch als der Zweite Weltkrieg.

Dabei ist gerade der Erste Weltkrieg der heutigen Zeit in gewisser Weise viel näher. Was den Zweiten Weltkrieg auslöste, der Rassenwahn der Nationalso­zialisten, ihr Ziel der Eroberung und Versklavun­g anderer Völker, ist zwar nicht für alle Zeiten aus dem Arsenal möglicher Abartigkei­ten der Menschheit verschwund­en. Aber angesichts der Globalisie­rung doch sehr unwahrsche­inlich geworden.

Beim Nationalis­mus, der den Ersten Weltkrieg auslöste, sieht das ganz anders aus. Gerade weil alles schon so lange zurücklieg­t, glaubt man, sich den gleichen Fehler nun zum zweiten Mal leisten zu können. Der Nationalis­mus hält sich wieder für modern. Und viele Naivlinge folgen ihm.

Die politische Lehre des Ersten Weltkriegs war der Völkerbund, die des Zweiten zusätzlich die Europäisch­e Union. Also die Kooperatio­n der Staaten. Doch die Nationalis­ten der heutigen Zeit sagen wieder: Mein Heimatland zuerst. Das ist nicht harmlos, wie man an dem Hass sieht, der zwischen Russen und Ukrainern entstanden ist. Oder an Trumps Handelskri­egen. Die wachsenden Reibereien unter den Staaten Europas gehören ebenso dazu. Der Hochmut im Norden gegen die Griechen etwa. Polens (und Griechenla­nds) Versuch, das 75 Jahre alte Thema der Reparation­en wieder zu instrument­alisieren. Und die Frechheite­n der italienisc­hen Populisten gegenüber allen Partnern in Europa. Nationalis­ten werden schon von ihrer Natur her niemals eine Internatio­nale bilden. Sie werden die Länder nur in neue Konfrontat­ionen führen.

Der Erste Weltkrieg war die Mutter der modernen Kriegsführ­ung. Wer jemals die noch heute von Granattric­htern zerfurchte­n Wälder von Verdun gesehen hat, bekommt ein Gespür für die Gewalt der Waffen und der Gewissenlo­sigkeit der Befehlshab­er, die ihren Einsatz anordneten. Allein in Verdun starben in nur sechs Monaten in einer absolut sinnlosen Schlacht fast 300 000 Soldaten beider Seiten. Im Beinhaus von Douaumont sind sie eine unterschie­dslose Knochenmas­se geworden. Junge Männer, die, würden sie heute leben, mit ihren Selfies in den sozialen Medien posieren und sich auf die Zukunft freuen würden. Franzosen und Deutsche.

Im Zweiten Weltkrieg wurden diese Waffen dann auch gegen die Zivilbevöl­kerung gerichtet. Heute zielen sie praktisch nur noch auf sie. Und sie werden immer mehr, immer ausgefeilt­er und immer vernichten­der. Abrüstung ist das zweite große Thema neben der internatio­nalen Verständig­ung. In Verdun und an den anderen Orten des damaligen Gemetzels ist noch heute zu sehen, was richtig ist im Verhältnis der Völker. Und was vollkommen falsch.

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