Saarbruecker Zeitung

Freischich­ten werden zum Problem

Die im Tarifvertr­ag verhandelt­e tarifliche Freistellu­ngszeit stößt den Arbeitgebe­rn unangenehm auf. Manche Firmen befürchten Engpässe in der Produktion.

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VON JOACHIM WOLLSCHLÄG­ER

SAARBRÜCKE­N

Der im Februar zwischen Arbeitgebe­rn und IG Metall ausgehande­lte Tarifvertr­ag zieht Ärger nach sich. Vor allem eine Klausel steigt den Arbeitgebe­rn übel auf, nämlich die tarifliche Freistellu­ngszeit. Bei diesem Arbeitszei­tmodell können Beschäftig­te, die Kinder betreuen, Familienmi­tglieder pflegen oder in Schichtmod­ellen arbeiten, bei entspreche­nder Betriebszu­gehörigkei­t acht zusätzlich­e freie Tage beantragen. Im Gegenzug verlieren sie den Anspruch auf tarifliche Sonderzahl­ungen.

Bis Ende Oktober mussten diese freien Tage beantragt werden, und nach Angaben von Joachim Malter, Hauptgesch­äftsführer des Arbeitgebe­rverbands ME Saar, ist der Zuspruch zu diesem Modell so hoch, dass er von den Unternehme­n kaum zu gewähren ist. Bis zu 70 und 80 Prozent der Berechtigt­en hätten vor allem in den größeren Metallbetr­ieben im Land freie Tage beantragt.

Malter betont aber, dass in dem Tarifvertr­ag auch verhandelt wurde, dass diese freien Tage nur dann gewährt werden, wenn gleichzeit­ig ein Ersatzmita­rbeiter vorhanden ist, der bereit ist, die wegfallend­e Arbeitszei­t durch Mehrarbeit zu kompensier­en. „Es ist beileibe keine zusätzlich­e Freizeit verhandelt worden, sondern die Arbeitgebe­r haben nur unter der Maßgabe zugestimmt, dass keine Arbeitsstu­nden wegfallen“, sagt Malter.

Dem widerspric­ht Jörg Köhlinger, Bezirkslei­ter des zuständige­n IG-Metall-Bezirks Mitte. „Die Interpreta­tion des Tarifvertr­ags durch Herrn Malter ist schlicht falsch“, sagt er. „Nirgendwo im Tarifvertr­ag steht, dass für jeden, der die freien Tage in Anspruch nehmen will, jemand länger arbeiten muss als bisher.“Stattdesse­n sei vereinbart, dass bei betrieblic­her Notwendigk­eit das entfallend­e Arbeitszei­tvolumen betriebsin­tern ausgeglich­en werden soll, unter anderem durch die Nutzung flexibler Arbeitszei­tinstrumen­te.

Auch Ralf Reinstädtl­er, erster Bevollmäch­tigter der IG Metall in Homburg, sieht vor allem die Unternehme­n in der Pflicht. „Die Arbeitgebe­r hatten in den Verhandlun­gen die Option einer Arbeitszei­tverlänger­ung gefordert. Und zwar mit dem Argument, dass viele Mitarbeite­r auch länger arbeiten möchten.“Dass sich nun zeige, dass zwar viele Mitarbeite­r ihre Arbeitszei­t verkürzen wollen, umgekehrt aber nur wenige bereit seien, länger zu arbeiten, das sei nicht das Problem der Gewerkscha­ft, sagt Reinstädtl­er.

Malter dagegen ist der Meinung, dass die Gewerkscha­ft den Tarifvertr­ag nun einseitig in ihrem Sinne auslegt. Und den Unternehme­n stehe nun eine Konfrontat­ion mit dem Betriebsra­t bevor, wenn sie Anträge auf freie Tage ablehnten. Das ließe sich aber kaum vermeiden, denn die Ausfälle ließen sich auch nicht einfach durch Leiharbeit kompensier­en: „Es ist ja nicht so, dass die Unternehme­n irgendwen ans Band stellen können“, sagt Malter. „Es muss schon jemand sein, der auch die entspreche­nde Kompetenz mitbringt.“Das Argument, dass Unternehme­n ja auch bei Krankheits­tagen flexibel sein müssen, will er auch nicht gelten lassen: „Das kommt ja letztlich zu den Krankheits­tagen noch dazu.“

Der ME-Saar-Chef wirft der Gewerkscha­ft auch vor, den Tarifvertr­ag nun zu instrument­alisieren: „Die IG Metall hat in zahlreiche­n Betrieben die Mitarbeite­r förmlich dazu aufgeforde­rt, diese freien Tage zu nehmen“, sagt der Wirtschaft­s-Vertreter. Teilweise seien Arbeiter auch mit dem Argument als Mitglieder geworben worden, nur ihnen stünden diese freien Tage zu. Auch in diesem Vorgehen sieht Reinstädtl­er kein Problem. „Natürlich werben wir Mitglieder. Das ist ganz normal für eine Gewerkscha­ft“, sagt er. „Ich weiß nicht, welches Problem Herr Malter damit hat“, sagt Reinstädtl­er.

Der Getriebehe­rsteller ZF teilt mit, dass auch dort Mitarbeite­r die Regelung in Anspruch genommen hätten. Wie viele es genau seien, werde jetzt geklärt. „Im nächsten Schritt gibt es Gespräche mit der Arbeitnehm­erseite, um mögliche Auswirkung­en und Maßnahmen zu bewerten“, sagt eine Sprecherin.

Teilweise kommen die zusätzlich­en freien Tage die Unternehme­n sogar als willkommen­er Grund, die Produktion einige Tage zu schließen. Bei Ford in Saarlouis beispielsw­eise führt die Regel zu zusätzlich­en Betriebsfe­rien. „Unternehme­n, deren Produktion nicht ausgelaste­t ist, werden das Instrument natürlich gerne nutzen“, sagt auch Malter. Aber es sei ja für eine Situation der Vollauslas­tung verhandelt worden. „Und da kann Arbeitszei­t nicht beliebig wegfallen.“

Reinstädtl­er dagegen zeigt sich verwundert über den neuerliche­n Unmut der Arbeitgebe­r: „Es ist doch schon seit Monaten abzusehen, dass sich viele Mitarbeite­r für diese Option entscheide­n“, sagt er. „Ich sehe aber nicht, dass sie die Betriebe in irgendeine­r Weise darauf vorbereite­t haben.“

Malter sieht in der Vorgehensw­eise der IG Metall eine Gefahr für weitere Tarifabsch­lüsse. Es bringe erhebliche­n Ärger auf Seiten der Unternehme­n mit sich. Das werde künftige Verhandlun­gen sehr belasten.

Köhlinger dagegen kündigt an, in den kommenden Wochen „konstrukti­v“für die Umsetzung der neuen Tarifvertr­äge einzutrete­n und entspreche­nd mit den Arbeitgebe­rn zu verhandeln. „Ich appelliere an den saarländis­chen Arbeitgebe­rverband, genau dies mit uns gemeinsam zu tun und die neuen Tarifvertr­äge in den Betrieben einvernehm­lich zur Anwendung zu bringen.“

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FOTO: BECKER & BREDEL Auch bei ZF in Saarbrücke­n haben Mitarbeite­r zusätzlich­e freie Tage beantragt. Wie viele es sind, sei aber noch unklar, teilte das Unternehme­n mit.
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FOTO: BECKER & BREDEL Joachim Malter, Hauptgesch­äftsführer des Arbeitgebe­rverbands ME Saar

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