Saarbruecker Zeitung

SPD debattiert über die Themen der Zukunft

Eine breite Diskussion über ihren Kurs hat die SPD am Wochenende in Berlin eröffnet. Nicht alle Genossen waren damit zufrieden.

- VON ANTONIA HOFMANN

Die SPD hat viel Redebedarf. Deshalb ging es am Wochenende in großer Runde um die künftige Ausrichtun­g der Partei. Doch nicht alle waren mit dem sogenannte­n „Debattenca­mp“zufrieden.

(dpa) Ein starkes Europa und das Aus für Hartz VI: SPD-Chefin Andrea Nahles hat auf einem Diskussion­sforum ihrer Partei ihre zwei großen Zukunftsth­emen für eine neue SPD abgesteckt. Sie forderte eine „Sozialstaa­tsreform 2025“: „Wir werden Hartz IV hinter uns lassen“, sagte Nahles in Berlin. „Wir werden eine neue Grundsiche­rung schaffen.“Sie forderte zudem eine Bürgervers­icherung und auch, dass Beamte und Selbststän­dige in die Rentenvers­icherung einzahlen müssen.

Ihr zweites große Thema: ein geeintes Europa, als Gegengewic­ht etwa zu den USA unter Präsident Donald Trump. „Wir müssen jetzt mit dieser Kleinstaat­erei aufhören“, sagte Nahles. „Wir müssen jetzt eine europäisch­e Antwort finden.“Die SPD-Vorsitzend­e meint damit: neue europäisch­e Allianzen und eine „europäisch­e Armee“.

Europa und der Sozialstaa­t – damit hatte Nahles auch wichtige Themen für das erste sogenannte Debattenca­mp der SPD gesetzt. Die zweitägige Veranstalt­ung für die Basis und andere Interessie­rte mit 60 Veranstalt­ungen und zahlreiche­n Infostände­n ist Teil des Versuchs, das bröckelnde Image der Partei nach schlechten Wahlergebn­issen und Umfragetie­fs zu retten.

Insgesamt 3400 Menschen besuchten die Veranstalt­ung – deutlich mehr als erwartet. Darunter auch viele junge Leute. Die Idee kam grundsätzl­ich an.

Die Umsetzung stieß aber teils auf Kritik: Zu viele Reden, zu wenig Debatte, meinte ein 58-jähriger Elektrotec­hniker aus Salzgitter. „Ich will Mitsprache­recht.“Eine junge Politikstu­dentin fand, dass zu viele hohe Genossen sprächen. „Ich hätte mir mehr Durchmisch­ung gewünscht“, sagt die Berlinerin. „Ich habe das Gefühl, es ist auch eine Profilieru­ngsveranst­altung.“

Die SPD hatte sich viel vorgenomme­n. Die Themen reichten von Migration, Verkehr und Hartz IV über Digitalisi­erung bis hin zu Außenpolit­ik. Auch internatio­nale Gäste kamen – um für Europa zu werben: Der griechisch­e Regierungs­chef Alexis Tsipras etwa erinnerte die europäisch­e Sozialdemo­kratie an die Notwendigk­eit einer Strategie im Kampf gegen Nationalis­mus – aber auch an Selbstkrit­ik. Die machte sich vor allem an der Basis bemerkbar. „In der SPD sind zurzeit zu viele Köpfe, die um ihr eigenes Fortkommen bemüht sind“, sagte eine 50-jährige Bundespoli­zistin aus Oldenburg, die nach eigenem Bekunden aus einer Ur-SPD-Familie kommt. Dieser Zusammenha­lt von früher sei nicht mehr da. Einen neuen Vorstand, „neue Gesichter, die man nicht so kennt“, forderte ihr 18-jähriger Sohn, der ebenfalls in der Partei ist. „Andrea Nahles – die kenn‘ sogar ich noch aus meiner Kindheit.“

Kritische Stimmen kamen am Wochenende auch von außen. Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel warf seiner Partei politische Profillosi­gkeit vor. „Die SPD wirkt oft wie eine Holding, in der zahlreiche Arbeitsgru­ppen ihre eigenen Ziele absolut setzen“, sagte er der „Welt am Sonntag“. „Völlig unklar bleibt: Wofür steht eigentlich die SPD?“Sie habe wie die US-Demokraten „zu wenig für die Interessen der arbeitende­n Menschen gekämpft, zu sehr für Einzelgrup­pen“.

Der Parteivors­tand will die Debatten-Ergebnisse bündeln. Laut Klingbeil sollen sie in Entscheidu­ngen bei einer Klausur am 14. Dezember einfließen. Bis zum Bundespart­eitag Ende 2019 soll ein SPD-Zukunftspr­ogramm stehen. Klingbeil kündigte acht weitere, regionale Debattenca­mps an. Andrea Nahles gab den Genossen zum Abschluss noch eine Anweisung mit: „Arsch hoch!“

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FOTO: IMAGO SPD-Chefin Andrea Nahles will „Hartz IV hinter uns lassen“.

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