Saarbruecker Zeitung

Brexit ist für Deutschlan­d ein abschrecke­ndes Beispiel

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Das ist schon bitter. Ausgerechn­et im Mutterland der Demokratie geht es politisch drunter und drüber. Wer die Brexit-Debatte am Dienstag im britischen Unterhaus verfolgt hat, der spürte, dass die Abgeordnet­en, ganz gleich welcher Couleur, praktisch nur einen gemeinsame­n Nenner kannten: ihren Widerstand gegen das mit der EU ausgehande­lte Austrittsa­bkommen. Wofür sie genau stehen, blieb ein Geheimnis. Der konstrukti­ve Gedanke, der Kompromiss ist jedoch das Herzstück jeder Demokratie. Wenn dieses Herz nicht mehr schlägt, wenn es keine Mehrheiten für gar nichts mehr gibt, droht Chaos. Und genau an diesem Punkt ist das Vereinigte Königreich jetzt.

Das ganze Gewürge des Vereinigte­n Königreich­s bei der Scheidung von der Europäisch­en Union ist ein abschrecke­ndes Beispiel auch für Deutschlan­d. Denn auch hierzuland­e reden Populisten einem EU-Austritt das Wort. Und wie gut man damit leben werde. Solchen demagogisc­hen Versprechu­ngen sind die Briten auf den Leim gegangen. Gerade erst hat die AfD ihr Europawahl­programm auf einen Abschied von der EU ausgericht­et. Am Ende zwar mit ein paar kosmetisch­en Retuschen. Aber die Stoßrichtu­ng bleibt. Dabei profitiert kein anderer Mitgliedss­taat dank seiner Exportindu­strie so stark vom gemeinsame­n Binnenmark­t wie Deutschlan­d. Kein anderes Land hat deshalb auch so große Vorteile vom Euro wie Deutschlan­d. Freies Reisen auf dem alten Kontinent ist eine Selbstvers­tändlichke­it geworden, die manchen erst wieder zu Bewusstsei­n kommt, wenn sich für Reiseziele anderswo bürokratis­che Hürden auftun.

Die Briten zeigen gerade, wie schnell europäisch­e Errungensc­haften den Bach runter gehen können. Und wie gefährlich es ist, wenn die Stimmen der Vernunft kein Gehör mehr finden. Sage also niemand, er hätte bei der Europawahl im Mai nicht wirklich eine Wahl. Wenn die Populisten auch im Europarlam­ent die Oberhand bekämen, wäre der Rückfall in egoistisch­e Nationalst­aatlichkei­t auch dort programmie­rt. Großbritan­nien in seiner aktuell besorgnise­rregenden Verfassung wäre dafür nur ein Vorgeschma­ck. Gerade deshalb gibt es aber auch Grund zur Hoffnung. Welche andere Regierung in Europa mag ihren Bürgern einen EU-Austritt jetzt noch zumuten?

Das Briten-Drama ist freilich noch lange nicht ausgestand­en. Kommt es zu einer ungeregelt­en Abkehr von Brüssel, wären nicht nur die wirtschaft­lichen Folgen verheerend. Selbst ein schon lange befriedete­r Konflikt wie der in Nordirland könnte wieder aufflammen. Um einen unkontroll­ierten Brexit zu verhindern, muss auch die EU konstrukti­ver werden. Das aktuelle Austrittsa­bkommen ist in unveränder­ter Form sicher nicht zu retten. Also muss über Alternativ­en nachgedach­t werden, um den Schaden auch für deutsche Unternehme­n in Grenzen zu halten. Dazu könnte der geplante Austrittst­ermin am 29. März verschoben werden. Und vielleicht entfaltet ja die Angst vor dem kompletten Chaos eine heilsame Wirkung auch bei britischen Populisten. Im Moment freilich ist das kaum mehr als ein Wunsch.

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