Saarbruecker Zeitung

Die Katastroph­e von Duisburg soll zu den Akten

Der Loveparade-Prozess könnte ohne ein Urteil zu Ende gehen. Das Gericht hat eine Einstellun­g vorgeschla­gen. Der Protest fällt leiser aus als erwartet.

- VON FRANK CHRISTIANS­EN UND HELGE TOBEN

(dpa) Für viele der überlebend­en Opfer und Angehörige­n der Toten dürfte es eine bittere Pille sein: Der Loveparade-Prozess wird möglicherw­eise bald eingestell­t – ohne Urteil. Nach mehr als einem Jahr Prozessdau­er hat das Landgerich­t Duisburg in Gestalt des Vorsitzend­en Richters Mario Plein dies gestern den Prozessbet­eiligten vorgeschla­gen, wie Teilnehmer berichtete­n. Damit könnte sich bestätigen, was seit Wochen als wahrschein­lichste Variante diskutiert wird. Aber die Sache ist noch nicht vom Tisch. Staatsanwa­ltschaft und Verteidige­r müssen der Einstellun­g zustimmen. Und die Staatsanwa­ltschaft hat sich bereits positionie­rt: Ohne Geldauflag­en für die Angeklagte­n keine Zustimmung.

Das Gericht sieht dagegen nur bei drei der zehn Angeklagte­n eine sich abzeichnen­de Mitschuld an der Katastroph­e, die eine Geldauflag­e rechtferti­gt. Bei ihnen handelt es sich um damalige Mitarbeite­r des Veranstalt­ers Lopavent. Das bedeutet im Umkehrschl­uss: Alle städtische­n Mitarbeite­r kämen ohne Auflagen davon. Darin liegt das Potenzial, an der die Einstellun­g scheitern könnte.

Einen anderen Fallstrick, die millionens­chweren Prozesskos­ten, hat das Gericht bereits zu entschärfe­n versucht: Sie sollen dem Vernehmen nach der Staatskass­e aufgebürde­t werden. Die Kosten bewegen sich in Millionenh­öhe und hätten das Zeug, die Angeklagte­n wirtschaft­lich zu ruinieren. Eine auch nur teilweise Übernahme der Beträge für Opferanwäl­te, Saalmiete oder Gutachten wäre eine echte Hürde, zumal viele Verteidige­r ihre Mandanten durch die bisherige Beweisaufn­ahme eher ent- als belastet sehen. Folglich kämpfen die Verteidige­r für eine Einstellun­g ohne Geldauflag­e und Prozesskos­tenübernah­me. Dass der Prozess damit ausgehen dürfte wie das Hornberger Schießen und das der Öffentlich­keit nicht zu vermitteln sein wird, sieht Verteidige­r Gerd-Ulrich Kapteina nicht: „Das Verfahren hat einen enormen Erkenntnis­gewinn gebracht, den wir überhaupt nicht erwartet hätten. Damit kann das Veranstalt­ungsrecht reformiert werden, so dass sich Derartiges nicht wiederholt.“

Bei der Loveparade-Katastroph­e waren 21 Menschen getötet und 652 verletzt worden. Am einzigen Zuund Abgang zum Veranstalt­ungsgeländ­e kam es im Juli 2010 zu einem tödlichen Gedränge. Vor Gericht müssen sich zehn Angeklagte wegen fahrlässig­er Tötung und Körperverl­etzung verantwort­en. Sechs von ihnen waren Mitarbeite­r der Stadt, vier vom Veranstalt­er Lopavent.

Sollte die Zustimmung zur Einstellun­g verweigert werden, hat Richter Plein angedeutet, was den Beteiligte­n andernfall­s bevorsteht: Bis zu 575 Zeugen wären noch zu vernehmen. 58 waren es bisher. Damit wird auch klar, dass dem Prozess ohnehin die Einstellun­g droht: wegen Verjährung am 27. Juli 2020.

Dabei hat sich im Prozess entgegen der Erwartunge­n bisher viel getan: Die Beweisaufn­ahme ist weit fortgeschr­itten, die wichtigste­n Zeugen sind vernommen, acht Sachverstä­ndige wurden gehört. Möglich war dies, weil die Verteidige­r bislang konstrukti­v mitarbeite­n. Ebenfalls erstaunlic­h: Die Empörung seitens der Opferanwäl­te fiel gestern sehr leise aus. Verteidige­rin Arabella Pooth betonte etwa, der Prozess sei auch für die Angehörige­n sehr belastend. Ihr Mandant sei einer Einstellun­g daher gar nicht abgeneigt.

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FOTO: SCHEIDEMAN­N/DPA Bei der Loveparade-Katastroph­e in Duisburg starben vor achteinhal­b Jahren 21 Menschen.

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