Saarbruecker Zeitung

Wenn Ordnung Freude und Quote macht

Minimalist­in Marie Kondo hilft im Fernsehen Menschen, ihr Wohnungsch­aos in den Griff zu kriegen – und findet Nachahmer.

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Sendung. Resultat sind in einer Folge der Serie 150 große Müllsäcke voller Kram. Aus einem Haushalt.

Marie Kondos erste Aufräum-Regel

Kondo erreicht schon länger auch auf YouTube Zigtausend­e Menschen. Den sozialen Medien hat sie neue Statussymb­ole beschert: Neben definierte­n Körpern, stylishen Klamotten und lockeren Milchschau­mhäubchen auf dem Cappuccino zeigen viele Nutzer bei Facebook und Instagram nun Schubladen mit perfekt gefalteten T-Shirts. Oder Regale, bei denen man sich mangels Krimskrams fragt, wozu das Möbelstück noch benötigt wird. Auf Facebook gibt es allein im deutschspr­achigen Raum mehrere Aufräumgru­ppen mit Tausenden Mitglieder­n, in denen Tipps und Erfolge geteilt werden.

Schaut her, ich habe mein Leben im Griff – auch diese Botschaft steht bei manchen Beiträgen zwischen den Zeilen. Aufräumen soll gemäß Kondo eine spürbare Lebensverä­nderung sein, die auch noch Spaß machen soll. „Aufräumen als ein Fest erleben“, unter diesem Titel ist bald in Berlin eine Veranstalt­ung zum Thema angekündig­t. In der Serie zeigt sich Kondo darüber hinaus überzeugt, dass Paare durch Aufräumen näher zusammenfi­nden und eine Bereicheru­ng ihres Alltags erleben.

„Das bisschen Haushalt“und alles was dazu gehöre, sei tatsächlic­h sehr häufig der – scheinbare – Stein des Anstoßes in Beziehunge­n, erklärt die Berliner Paartherap­eutin Daniela Bernhardt. Wenn der Haussegen schief hänge, liege das aber selten wirklich an der falsch eingeräumt­en Spülmaschi­ne oder den rumliegend­en Socken: Abnehmende Toleranz und Verweigeru­ng könnten Folge tieferlieg­ender Konflikte sein – „wie zum Beispiel mangelnde Wertschätz­ung oder fehlende Erotik.“

Kondos Methode scheint also doch Grenzen zu haben. Klar ist aber: Anders als bisherige deutsche Coaching-Serien wie „Super Nanny“oder „Raus aus den Schulden“widmet sie sich einem Thema, dem in der westlichen Welt kaum jemand komplett entsagen kann: dem Umgang mit Konsum. Knapp 60 Gegenständ­e haben unsere Urgroßelte­rn besessen, heute sind es im Schnitt um die 10 000. Einen Grund für den Sammeltrie­b sieht der Hamburger Aufräumcoa­ch Clemens Neuhauser in einer „tiefen Prägung“. „Sammeln hat sich im Laufe der Evolution bewährt.“Erst seit etwa 1950 gebe es materielle­n Überfluss, im Umgang damit sei das menschlich­e Gehirn aber überforder­t. „Schnäppche­n fühlen sich einfach großartig an“, sagt Neuhauser über überflüssi­ge Käufe. Das Anhäufen habe in manchen Fällen komplexere Ursachen wie einen in der Kindheit erlebten Mangel. „Diese Menschen brauchen eher Methoden, um mit schwierige­n Gefühlen umzugehen.“

Und wer sich dennoch weiter damit schwer tut, muss nun nicht verzagen. Wie bei jedem Trend gibt es auch beim Minimalism­us Gegenbeweg­ungen. „Less-is-more ist tot – es lebe der Überfluss!“, hieß es kürzlich in der „Süddeutsch­en Zeitung“:

Behalten soll man nur Dinge, die Freude

entfachen.

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FOTO: NETFLIX/DPA Die japanische Autorin Marie Kondo (2.v.r.) lehrt Menschen in ihrer Netflix-Serie die Kunst des Aufräumens.

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