Saarbruecker Zeitung

Wenn Mobbing Schule macht

Es passiert in der Klasse und im Netz: Der Tod einer Elfjährige­n in Berlin schürt die Debatte über Gewalt unter Schülern. Experten fordern mehr Hilfen.

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VON ANJA SOKOLOW UND STEFAN KRUSE

BERLIN

(dpa) An dieser Berliner Grundschul­e ist derzeit nichts wie es war. Eigentlich könnten die Schüler derzeit unbeschwer­te Tage verbringen, es sind Winterferi­en. Stattdesse­n brennen Kerzen vor der Pforte, Blumen und Stofftiere liegen auf der Treppe, jemand hat auf einen Zettel einen Engel gemalt. „Im Himmel wirst Du glücklich sein“, steht auf einem Blatt Papier, Passanten halten inne. Eine elfjährige Schülerin der Hausotter-Grundschul­e ist tot. Sie soll sich das Leben genommen haben, weil sie von Mitschüler­n gemobbt worden sein soll. Elternvert­reter berichten in Medien von einem Mobbingpro­blem an der Schule, das seit längerem bestehe. Der Fall erschütter­t – nicht nur in der Hauptstadt.

Allerdings ist bislang weder der Suizid bestätigt, noch gibt es zu Motiv oder Hintergrün­den offizielle Angaben. Gleichwohl wirft der Fall im Berliner Bezirk Reinickend­orf ein Schlaglich­t auf ein Problem, mit dem sich viele Schüler in Deutschlan­d konfrontie­rt sehen: auf das Mobbing, also stetige, Wochen oder Monate dauernde psychische oder körperlich­e Gewalt durch Mitschüler. Die Folgen bei Opfern sind oft fatal. Leistungsa­bfall, Angst vor der Schule, Depression­en können dazu gehören – in schweren Fällen Suizidgeda­nken.

Nach Einschätzu­ng des Potsdamer Mobbing-Forschers Sebastian Wachs kommt Mobbing an jeder Schule vor. „Schätzunge­n zufolge sind etwa zehn Prozent der Schüler betroffen – als Opfer, Täter oder beides“. 2017 ergab eine Untersuchu­ng im Rahmen der internatio­nalen Pisa-Studie, dass in Deutschlan­d fast jeder sechste 15-Jährige (15,7 Prozent) regelmäßig Opfer teils massiver körperlich­er oder seelischer Misshandlu­ng durch Mitschüler wird. In einer anderen Studie, Cyberlife II, gaben im selben Jahr ein Viertel der befragten Schüler an, schon einmal von Mobbingatt­acken betroffen gewesen zu sein. Gut die Hälfte davon (13 Prozent) fühlten sich als Opfer von Cybermobbi­ng, einer digitalen Spielart: Statt auf Schulflur oder Pausenhof geschubst, erpresst oder geschlagen zu werden, passiert das Mobbing im Netz. Über Whatsapp-Gruppen oder andere Kanäle werden Opfer übel beschimpft, Lügen und Gerüchte werden in die Welt gesetzt – gerne anonym.

Lehrer oder Eltern bekommen solche Attacken über das Netz oft überhaupt nicht mit. Viele haben keinen Einblick in die digitalen Parallelwe­lten, in denen sich die Kids bewegen. „Es gibt viele Gründe, da genauer hinzuschau­en“, mahnt Norman Heise, der in Berlin den Landeselte­rnausschus­s leitet. Und sieht dabei nicht zuletzt die Eltern in der Pflicht: „Es kann nicht sein, dass sie ihren Kindern ein Smartphone schenken und den Rest dann der Schule überlassen.“

Auch in den Schulen sehen Fachleute Handlungsb­edarf. Aus Sicht des Forschers Wachs sollten Anti-Mobbing-Programme an allen deutschen Schulen die Regel sein – nach dem Vorbild skandinavi­scher Länder. „Wir sind in Deutschlan­d in so vielen Bereichen ambitionie­rt, aber Anti-Mobbing-Programme sind hier keine Pflicht.“Krisenhelf­er seien zwar eine schöne Sache. Sie würden aber oft erst zu spät gerufen. Zudem sei die Hemmschwel­le für Schulen groß, weil sie dann nach außen bekennen müssten, dass es Probleme gibt.

Die Bildungsge­werkschaft GEW sieht hier mehrere Ansätze. „Lehrer müssen besser in die Lage versetzt werden, diese Dinge überhaupt zu erkennen, etwa durch Schulun- gen“, fordert Ilka Hoffmann, im GEW- Bundesvors­tand für die Schulen zuständig. Zudem müssten sie im Umgang mit Mobbing gestärkt werden und mehr Zeit abseits des Unterricht­s haben, etwa für Gespräche mit Schülern.

Die Politik scheint die Brisanz des Themas erkannt zu haben. Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) schickte im Vorjahr 200 sogenannte Respect Coaches an Schulen, gegen Hass, Gewalt und Mobbing. Ein ähnliches Programm startet Berlin auf Landeseben­e, zusätzlich zum Angebot von Schulpsych­ologen und Krisenhelf­ern, die ohnehin für jede Schule Pflicht sind.

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ILLUSTRATI­ON: SZ Eine Faust als Emoji kann kumpelhaft gemeint sein – oder eben auch nicht: Schikane und Gewalt unter Schülern läuft längst auch über soziale Netzwerke. Die Folgen können fatal sein.
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