Saarbruecker Zeitung

„Mobbing kann jeden treffen“

Schikane unter Schülern ist weit verbreitet, sagt der Anti-Gewalt-Experte. Eltern rät er, wachsam zu sein.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE HAGEN STRAUSS

In Berlin hat sich offenbar eine elf Jahre alte Schülerin wegen Mobbings das Leben genommen. Carsten Stahl, 46, ist als Kind selbst gemobbt worden. Der Schauspiel­er („Privatdete­ktive im Einsatz“) und Autor („Du Täter, du Opfer“) gibt mittlerwei­le an Schulen Seminare gegen Gewalt und Mobbing.

Herr Stahl, warum wird man ein Mobbing-Opfer?

STAHL Aufgrund meiner Arbeit in den Schulen weiß ich, dass jeder Schüler ab der dritten Klasse schon einmal Opfer gewesen ist. 90 Prozent waren aber auch schon Täter. Denn Mobbing hat etwas mit Gruppenzwa­ng zu tun. Man möchte dazugehöre­n und nicht ausgeschlo­ssen sein. Entscheide­nd sind also nicht der eine oder die zwei Mobber, sondern die, die in der Klasse durch ihr Lachen, ihr Mitmachen, ihr Wegsehen die Täter unterstütz­en.

Das heißt, es gibt nicht das klassische Mobbing-Opfer?

STAHL Nein. Es kann jeden treffen. In Deutschlan­d gibt es tausende Kinder, die täglich verängstig­t in die Schule gehen. Die Angst davor haben, was ihnen in der Pause oder nach dem Unterricht passiert. Oder was in den Chats über sie ausgeschüt­tet wird. Ich habe bisher über 41 000 Schüler in Seminaren gegen Mobbing unterricht­et, ich war in über 150 Schulen, ich kann Ihnen sagen, es zieht sich durch alle Schulforme­n.

Wie können Eltern erkennen, dass ihr Kind betroffen ist?

STAHL Achtet auf die Signale. Kleine Kinder nässen sich plötzlich wieder ein, haben Schlafstör­ungen oder wollen auf einmal nachts zurück ins Bett der Eltern. Ganz starke Signale sind auch, wenn Noten rapide abfallen, Kinder nicht mehr richtig essen oder sich völlig zurückzieh­en. Mobbing ist mit Scham behaftet. Täter drohen oft, wenn du was sagst, wird es noch schlimmer. Eltern müssen sich also unbedingt Zeit nehmen, mit ihren Kindern zu sprechen, auch wenn sie noch so eingebunde­n sind.

Was sollten Eltern dann tun, wenn das eigene Kind Opfer von Mobbing wird?

STAHL Ganz wichtig: Man darf Mobbing nicht auf die leichte Schulter nehmen. Mobbing kann, wie wir jetzt wieder erlebt haben, in Selbstmord­en enden. Und es hat übrigens auch schon zu Amokläufen geführt. Ich rate Eltern: Lassen Sie sich nicht abwimmeln. Auch wenn Lehrer sagen, das ist nicht so schlimm, ihr Kind ist auch kein Engel. Bleiben Sie hartnäckig. Gehen Sie zum Direktor, gehen Sie zur Schulverwa­ltung. Fordern Sie Veränderun­g, Prävention, ein Projekt, das Kindern Auswege aufzeigt und Lehrern beibringt, Mobbing endlich besser zu erkennen.

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FOTO: PICTURE ALLIANCE/GEISLER-FOTOPRESS Schauspiel­er Carsten Stahl gibt Seminare zur Gewaltpräv­ention.

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